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Alle Fäden
in der Hand

Salomé Bäumlin kreiert Teppiche und reist dafür regelmässig in Marokkos Hinterland. Ihre Tochter kam schon als Baby überallhin mit.
9 Nov 2017
Bilder — Ulrike Meutzner

Als ihre Tochter Marwa drei Wochen alt war, fuhr Salomé Bäumlin samt Kind und Gepäck für drei Wochen nach Frankreich, denn «reisen mit einem kleinen Kind ist machbar. Man bekommt fast überall alles was man braucht, falls etwas vergessen ging. Und sonst kann man immer noch improvisieren.» Einige Zeit später erhielt die Gründerin des schweizerisch-marokkanischen Teppichlabels Ait Selma («Familie des Friedens») ein sechsmonatiges Kairo-Stipendium der Stadt Bern. Sie nahm es an – und Marwa mit. Damals war das Mädchen knapp dreijährig und Kairo steckte mitten in der Revolution. Viele Bekannte rieten ihr von der Reise ab oder äusserten zumindest ihre Bedenken.

Kairo, dieser Moloch, von Männern, Gefahren und Autos dominiert, laut und dreckig. Tatsächlich fehlte der Mutter mit ihrer kleinen Tochter die Natur, das Grün. Und es gab zwei brenzlige Zwischenfälle – Leute auf der Strasse zettelten einen Mob an, in der Annahme, das Mädchen mit der etwas dunkleren Hautfarbe als seine Begleiterin sei bestimmt entführt worden. Das Ganze ging glimpflich aus, und abgesehen davon fühlten sich Salomé und Marwa in der ägyptischen Grossstadt stets wohl und sicher. «Kairo war unser temporäres Daheim. Ich genoss das Privileg, meinen freien Arbeiten nachzugehen, während Marwa die private Kita besuchen konnte. Diese Zeit war für uns beide sehr spannend, wir wären sogar gerne etwas länger geblieben.»

In Kairo zettelten Leute auf der Strasse einen Mob an wegen Marwa und Salomé Bäumlin: Sie meinten, das Mädchen sei von der hellhäutigen Frau entführt worden.

Seit einigen Jahren reist die 37-Jährige alle paar Monate vorwiegend ins marokkanische Hinterland, meistens mit und manchmal ohne ihre 9-jährige Tochter. Ihr Ziel sind die Bergdörfer im südlichen Atlasgebirge, wo Berberfrauen in ihren heimischen Produktionsstätten Teppiche für Ait Selma herstellen. Das authentische, lokale Handwerk und die uralte Tradition der Berberfrauen haben es Salomé Bäumlin angetan. Wolle von Schafen aus der Gegend, gefärbt mit pflanzlichen und organischen Stoffen, nach einer gezeichneten Vorlage der Künstlerin, von Hand zu kleineren und grossen Unikaten geknüpft und gewoben – eine wunderschöne und nachhaltige Herzensangelegenheit, aber kein einfaches Projekt für eine «fremde» Frau mit schweizerischen Prägungen und entsprechenden Werten.

«Dank meinem Produktionspartner Farid und den regelmässigen Besuchen vor Ort behalte ich den Überblick über die laufenden Arbeiten. Wenn ich zu lange nicht präsent wäre, würden mir die Fäden wohl entgleiten.» Aber auch so muss sie zeitliche Verzögerungen und von ihrer Vorlage abweichende Ausführungen in Kauf nehmen, dies gehöre jedoch zur künstlerischen Freiheit der Frauen und sei für sie Teil des Geschäftsmodells. «Zuerst wird mal Tee getrunken und geredet. Und wenn nicht heute, dann wird morgen oder übermorgen besprochen und verhandelt. Es braucht viel Geduld, aber immer, wenn die Teppiche ihre lange Reise in die Schweiz hinter sich haben und bei mir ankommen, macht mich das sehr glücklich», sagt Salomé Bäumlin.

«Zuerst wird mal Tee getrunken und geredet. Und wenn nicht heute, dann wird morgen oder übermorgen verhandelt. Es braucht viel Geduld, aber wenn die Teppiche dann bei mir ankommen, macht mich das sehr glücklich.»

Ihr Atelier befindet sich in einer kleinen Mansarde in ihrem Wohnhaus. Wenn Marwa in der Schule ist, zeichnet Salomé dort an ihrem Arbeitstisch an neuen Entwürfen, gleist die nächste Reise auf oder bereitet sich für ihren Auftritt an Messen wie Designgut in Winterthur, Blickfang oder Design_22 in Bern vor. Das eigene Unternehmen mit all seinen Facetten und Aufgaben zu führen, ihre Tochter grösstenteils alleine gross zu ziehen (von Marwas Vater hat sich Salomé vor einigen Jahren getrennt), den gemeinsamen Alltag zu meistern und dabei die Balance zwischen Aufwand und Ertrag, zwischen Geben und Nehmen zu halten, «das ist manchmal schon streng. Aber wenn ich daran denke, dass ich noch Textildesign studiert habe, als Marwa ganz klein war, empfinde ich unseren Alltag heute fast schon als entspannt», sagt die Unternehmerin und lacht.

«Wenn ich daran denke, dass ich noch Textildesign studiert habe, als Marwa ganz klein war, empfinde ich unseren Alltag heute fast schon als entspannt.»

Marwa habe sich so ans Reisen gewöhnt, dass ihr manchmal schon wieder langweilig werde dabei. «Da brauchts dann UNO-Karten, Stifte, Papier und andere Unterhaltung, die wir vor Ort finden. Oder wir basteln aus leeren Kartonkisten vom Dorfladen eine Lampe oder ein Tischchen.» Und dann ist Mittag, Marwa stürmt in die gemütliche Altbauwohnung und erzählt in rasantem Tempo, was alles passiert ist – von der erfolgreichen Prüfung übers Turnen bis hin zum Französisch. Marwa geht nicht ungern zur Schule, aber noch lieber spielt sie Fussball, Klavier oder geht ins Hiphop. Salomé bereitet während des Redeschwalls Gemüse, Basmatireis und Salat zu und meint: «Der Schulstoff, das Lernen alleine füllt sie nicht aus, das habe ich früh gemerkt. Sie braucht den Sport und die kreativen Beschäftigungen in der Freizeit genauso.»

Auf ihrer jüngsten Reise durch Marokko haben die beiden während einigen Wochen ihren ersten gemeinsamen Teppich geknüpft; es ist eine farbige, liebevoll handgemachte Ode an ihre bewegte Mutter-Tochter-Beziehung und an die Farben der marokkanischen Natur.

Salomé Bäumlin, ihre Teppiche und Tapisserien sind zum Beispiel hier zu finden: Blickfang Bern, 24. – 26. November 2017 Bea Expo; Design_22 Bern, Stadtgärtnerei in der Elfenau, 17. Dezember 2017.

Ait Selma – aitselma.com