Franziska Rüegger, wo erwischen wir euch gerade?
Irgendwo zwischen Bordeaux und Biarritz, am grössten Sandstrand der Welt. Wir sind – nach der Winterpause in Bern – nun wieder bis im Sommer unterwegs, dann kommt unsere ältere Tochter in den Kindergarten.
Ihr seid 2021 acht Monate mit einem kleinen VW-Bus durch Osteuropa gereist. So lange auf kleinstem Raum mit zwei kleinen Kindern – wird man da nicht verrückt?
(Lacht) Natürlich gibt es lange Tage. Etwa dann, wenn es regnet oder wenn man stundenlang einen Stellplatz suchen muss. Aber ansonsten: ganz im Gegenteil! Die Reise war eine wunderbare Erfahrung für uns als Familie, und die Mädchen, die damals 2 und 4 Jahre alt waren, haben auch riesige Entwicklungsschritte gemacht unterwegs, haben an Selbstvertrauen gewonnen, ihre Schüchternheit abgelegt und gehen viel offener auf andere Kinder zu.
Reisen kann man aber auch bequemer. Warum wart ihr mit dem VW-Bus unterwegs?
Mich reizt das einfache Leben. Ich muss immer etwas schmunzeln, wenn ich auf Campingplätzen diese Monster-Wohnmobile sehe: Das ist so ziemlich das Gegenteil der Erfahrung, die ich machen möchte. Wir hatten fast überall das kleinste Auto mit den meisten Menschen drin (lacht). Am liebsten campen wir wild, wenn wir dürfen. Nicht, um Kosten zu sparen, sondern um möglichst mitten in der Natur zu sein. Ich bin ein Naturmensch, ich reise vor allem wegen der schönen Landschaften. Die meisten Städte umfahren wir deshalb.
Wie entstand die Idee zu eurer grossen Reise im vergangenen Jahr?
Das war schon immer ein gemeinsamer Traum von uns. Von Anfang an stand fest: Bevor die Kinder ins Schulsystem eintreten, wollen wir einmal noch richtig lange weg. Hinzu kam, dass ich eine Pause brauchte. Ich hatte nach der zweiten Geburt nur 4 Monate Pause gemacht und war danach zurück in eine Leitungsfunktion, wo ich sehr intensiv arbeitete. Die Reise bot mir auch eine Pause, das tat mir gut, auch wenn ich sehr happy war mit meinem Job.
Kostete es viel Mut, Job und Wohnung zu kündigen?
Mich nicht so, ich bin kein ängstlicher Mensch – wenn schon, dann fürchte ich mich vor so absurden Sachen wie diesen selbstreinigenden WCs hier in Frankreich am Strand (lacht). Aber ich habe da viel Vertrauen und denke immer: Irgendetwas findet man immer wieder! Diese mentale Freiheit bedeutet mir viel, ich möchte jederzeit loslassen können. Mein Partner hat schon ein grösseres Sicherheitsbedürfnis. Deshalb war es uns wichtig, ein realistisches Budget und genug gespart zu haben. Mir war es wichtig, die richtigen Sachen mitzunehmen. Sonst war Planung wegen Corona unmöglich, wir haben uns von Anfang an treiben lassen. Meistens wissen wir am Morgen, wenn wir losfahren, nicht, wo wir am Abend schlafen werden.
Indiskrete Frage: Wie viel habt ihr gespart für die Reise?
Wir haben monatliche Ausgaben von 3’000 Franken budgetiert und haben mit einem Zeitraum von 10 Monaten gerechnet. Zudem wollten wir mindestens 10’000 Franken auf der Seite haben, wenn wir wieder nachhause kommen. Da ich den ganzen ersten Monat noch Ferien und Überzeit kompensieren konnte, sind wir mit ungefähr 60’000 Franken ins Abenteuer gestartet. Im Winter konnte ich dann drei Monate lang eine Mutterschaftsvertretung bei meiner alten Arbeit machen und jetzt habe ich einen kleinen Nebenjob. So konnten wir aus geplanten 10 Monaten diese Auszeit von insgesamt 16 Monaten machen.
Wie sah euer Rhythmus auf Reisen aus?
Im Normalfall blieben wir zwei bis drei Tage an einem Ort und zogen dann weiter. Wir waren vor allem im Osten unterwegs. An Reisetagen versuchten wir jeweils, um die Mittagszeit herum zu fahren, damit wir den Mittagsschlaf der Kleinen zum Fahren nutzen konnten. Inzwischen können die Mädchen auch gut einfach so 2–3 Stunden fahren, sie haben sich sehr gut daran gewöhnt, hören Hörbücher, spielen mit Tiptoi, kleben Sticker ein. Am Anfang waren es manchmal nur 20 Minuten am Stück … Im Herbst verbrachten wir 6 Wochen an einem Strand in Griechenland, zusammen mit anderen Langzeitreisenden, daraus wurde eine Art Kommune von reisenden Familien, viele von ihnen sind Freilernende.
Ihr nicht?
Nein, unsere ältere Tochter hatten wir ein Jahr zurückgestellt, nun kommt sie in den Kindergarten und freut sich schon darauf. Und für uns ist Bern noch immer unser Zuhause, wir schätzen diese Stadt sehr und wollen auch in der Nähe unserer Verwandten und Freunde leben. Und ich bin nicht «nur» Mutter; ich liebe es auch, einen Job zu haben, schon nur deshalb war immer klar, dass das Reisen für uns kein Dauerzustand sein würde.
Ganz profane Fragen: Was esst ihr auf Reisen? Das Kochen für Kinder ist ja schon in der normalen Küche eine tägliche Herausforderung. Wie ist das erst in der Campingküche?
Mittags unterwegs, also an Fahrtagen, gibts fast immer das gleiche: Brot, Käse, Tomätli, einfach ein kleines Picknick. Wenn wir irgendwo mal bleiben und richtig kochen, dann nur Gerichte, von denen wir sicher wissen, dass unsere Kinder sie essen: Pasta mit Pesto oder Tomatensauce (ohne Stückli!), Couscoussalat, Kartoffeln, ohnehin viele Salate im Sommer, sowas halt. Wir haben zudem einen Omnia-Ofen, darin machen wir Ofenkartoffeln, Pizza oder Kuchen. Wir gehen aber auch gerne auswärts, einerseits, um uns einmal einen Abwasch zu ersparen, andererseits, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Das dann aber vor allem am Mittag. Am Abend wird es sonst zu spät mit den Kindern, und wenn sie schon müde sind, können wir es im Restaurant auch nicht so richtig geniessen.
Noch eine viel indiskretere Frage: Wie habt ihrs mit dem Klo beim Wildcampen? Also insbesondere mit dem grossen Geschäft?
Super Frage, dieses Thema interessiert mich bei anderen auch immer wieder. Jemand hat ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben, es heisst sinnigerweise «How To Shit In The Woods». Wir haben eine günstige Trockentrenn-Toilette dabei, also im Grunde ein Töpfchen, «es Häfi». Für Nummer 2 benutzen wir einen Abfallsack, den wir dann im Kehricht entsorgen; oder aber wir gehen auf ein Klo im Supermarkt. Für wenn wir sehr abgeschieden stehen, haben wir zur Not einen Klappspaten dabei. Grosses Loch, WC-Papier mitbringen, Erde und Geschäft mit einem Stock vermischen, so vermoddert es am schnellsten. Einfach nur einen Haufen irgendwo zu hinterlassen – das finden wir respektlos und machen wir auch nicht. Irgendwann leisten wir uns noch eine richtige Trockentrenn-Toilette. Das haben wir vor der Abfahrt etwas verschlafen. Eine Chemietoilette wollen wir nicht.
Camper sind immer irgendwas am Optimieren. Verratet uns eure Geheimtipps: Was sind eure «Must-haves», die besten Gadgets, ohne die ihr nie fahren würdet?
(Überlegt) Wir haben nicht so viel, wir sind totale Minimalisten. Ich freue mich immer, wenn ich noch weniger mitnehmen muss, ich empfinde es als so befreiend! Als unverzichtbar würde ich am ehesten unsere Hängematte bezeichnen, die «Ticket to the moon». Sie ist leicht, trocknet schnell, ist klein, und es passen zwei Erwachsene rein. Und sie ist mit den passenden Straps in einer Minute montiert und demontiert. Grosse Empfehlung! Etwas weniger naheliegend, aber total praktisch sind Doppel-Karabinerhaken, die man sonst beim Klettern braucht (wir haben das «Crag Wire Indicator Express Set» von Mammut). Wir brauchen die fast täglich, befestigen damit Taschen an den Autositzen, lassen Licht von der Decke baumeln, hängen Früchte am Baum auf … Jeden Abend im Einsatz sind auch unsere zwei Solarlampen, die sich ganz klein zusammenfalten lassen; wir haben «Luci» von Lux. Zum Waschen finden wir Waschstreifen am praktischsten. Kleider haben wir in Packbeuteln thematisch (Badesachen, Regensachen etc.) abgepackt.
Welche Spielsachen hatten die Kinder dabei?
Beide durften einen kleinen Rucksack mit Dingen mitnehmen. Darin waren ganz viele Büchlein, Malsachen, Stickerbücher, Kuscheltiere und ein Tiptoi-Stift. Aber im Grunde brauchen sie fast nichts, sie haben eine blühende Fantasie und spielen am liebsten Rollenspiele.
Ihr seid Minimalisten, trotzdem: Fehlte euch etwas auf Reisen?
Mir fehlten die Berge! (lacht) Aber an Materiellem fehlte uns fast nichts. Fast: Philipp vermisst immer sein kuscheliges Frotteetuch von zuhause. Unterwegs haben wir nur Mikrofaser-Tücher. Und ich vermisse den Milchschäumer. Die grosse Pack-Frage, die sich für uns vor solchen Reisen immer stellt, ist: Nehmen wir Fahrräder mit oder nicht? Hier in Frankreich wäre es jetzt super, mit Velos oder Trottis rumzudüsen, anderswo hats nur Kies oder keinerlei Velowege. Da lohnt es sich, je nach Destination vorher gut zu recherchieren.
Und: Habt ihr etwas zu viel mitgenommen?
Ich kann sagen, dass wir wirklich gut geplant hatten, wir haben nie umgeräumt, alles hatte seinen Platz. Einzig das Badminton-Set hätten wir uns sparen können. Wir hatten vor der Reise so eine Vision von uns am Federballspielen, aber am Ende haben wir es nie gebraucht (lacht).
Hättet ihr euch nicht mal für einen Abend einen Babysitter gewünscht?
Natürlich verbringt man viel Zeit nahe aufeinander. Aber das geht ja nicht nur uns so, auch für die Kinder sind wir auf Reisen die einzigen Bezugspersonen, sie haben keine bleibenden Freunde. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich nicht dauerhaft so leben möchte. Hinzu kommt die fehlende Selbständigkeit der Kinder. Beim Campen benötigen sie für fast alles die Hilfe der Erwachsenen, um an ihr Spielzeug zu kommen, eine Jacke zu holen – fast nichts geht, ohne dass jemand die Autotür öffnet oder etwas aus dem Kofferraum holt. Das ist mir sehr eingefahren, als wir wieder daheim waren: Wie unglaublich selbständig die Kinder plötzlich waren! Sie haben das so genossen, dass sie mir sogar den Kaffee ans Bett gebracht haben.
Gab es Tiefpunkte? Gefährliche Situationen? Pannen?
Grossartigerweise waren wir nie krank und hatten nie Autoprobleme. Gefährlich wurde es auch nie. Einmal wurden wir um 6 Uhr morgens weggejagt, aber da hatten wir eh schon mit einem schlechten Bauchgefühl übernachtet, einfach mangels Alternativen. Aber wir fühlten uns immer sehr sicher.
Habt ihr einmal etwas verloren?
Nichts Wichtiges. Aber mindestens fünf Sändelischaufeln, und für die Kleinere mussten wir sicher viermal neue Crocs kaufen. Sie hat immer einen davon verloren, in Ljubliana sogar beide. In der einen Minute sass sie noch mit Schuhen da, in der nächsten waren sie weg. Und auch auf dieser Reise ist sie schon beim zweiten Paar. Keine Ahnung, was da los ist (lacht).
Wo wars am schönsten?
Die Wälder in Rumänien waren unglaublich schön. In Albanien waren wir an warmen Quellen (Llixhat e Benjes) Und in Griechenland fährst du teilweise einfach an den Strand und schläfst zum Meeresrauschen ein. Da dachten wir häufig: Wir sind schon wahnsinnig verwöhnt.
Franziska Rüegger (36) und Philipp Ammann (37) sind mit ihren Kindern (damals 2 und 4 Jahre) vergangenes Jahr 8 Monate durch Osteuropa gereist. Job und Wohnung hatten sie gekündigt. Ihren VW-Bus, den sie liebevoll «Emma» nennen, haben sie unterdessen eingestellt, aktuell sind sie mit einem ausgebauten Ford Transit unterwegs, der immerhin hoch genug ist, dass man darin aufrecht stehen kann. Aber nur vergleichsweise kurz: Ab Sommer sind sie wieder fix in Bern sesshaft. Ihre Reiseerlebnisse dokumentiert Franziska auf Instagram (@paula_und_frida), woher auch viele dieser Bilder stammen.
Wer sich genauer für die Reiseroute interessiert: Die Familie hat zwei Runden im Osten gedreht; dazwischen waren sie im August zwei Wochen zuhause, vor allem um die Grosseltern zu besuchen. Auf der ersten Runde besuchten sie Kroatien, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, Griechenland, Bulagrien, Rumänien, Ungarn, Slowenien und Österreich. Auf der zweiten Runde Italien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro, Albanien und Griechenland.