Kleinstadt Agentur Über uns
Newsletter Kontakt

Der werdende Vater

Männer lesen keine Schwangerschaftsbücher? Wir kennen eines, das sich werdende Väter seit Jahren untereinander weitergeben.
20 Mrz 2018
Bild — iStock/Halfpoint

Liebe Väter: Habt ihr jemals ein Schwangerschaftsbuch gelesen? Wenn nicht, seid ihr in guter Gesellschaft. Vielleicht liegt dies am generellen Desinteresse der werdenden Väter. Vielleicht aber auch einfach am Mangel an passender Literatur, meint Gian Carlí Stäubli. Der Vater eines kleinen Buben gibt Auskunft darüber, weshalb er Schwangerschaftsbücher für Männer wichtig findet und wieso er allen – auch den werdenden Müttern – «The Expectant Father» von Armin A. Brott ans Herz legen möchte.

Gian, brauchen Väter wirklich ein Schwangerschaftsbuch?
Ich finde, ja. In der Schwangerschaft dreht sich alles um die Frau. Logisch, schliesslich ist sie es ja, die das Kind im Bauch hat. Aber für einen werdenden Vater ist es schwierig, sich in die Situation seiner Partnerin hineinzuversetzen, weil er all diese körperlichen und hormonellen Veränderungen selbst nicht erlebt. Trotzdem soll er sich während dieser neun Monate engagieren und sich vorbereiten. Aber wie? Es ist eine extrem komplexe Aufgabe, aber es gibt keine Prüfung fürs Vatersein, es sagt einem niemand so richtig, wie es geht und was einen erwartet.

Wie war das bei Dir?
Mir kam es vor, als komme plötzlich der Tag X, und du eröffnest mit deiner Frau sozusagen aus dem Stand eine 24/7-Cateringbude, ohne Businessplan. Da hilft es enorm, von jemandem Inputs zu erhalten, der in derselben Situation war, der darüber reflektiert, mit anderen Vätern darüber gesprochen, recherchiert, wissenschaftliche Studien gewälzt und die wichtigsten Informationen zusammengefasst hat. Mir half «The Expectant Father» dabei, mich mit allen möglichen Fragen zu Schwangerschaft und Geburt auseinanderzusetzen, mich zu informieren, aber auch meine eigenen Erfahrungen zu spiegeln: Geht das anderen Vätern auch so?

«Mir kam es vor, als komme plötzlich der Tag X, und du eröffnest mit deiner Frau sozusagen aus dem Stand eine 24/7-Cateringbude, ohne Businessplan.»

Worum geht es in dem Buch denn genau?
Um alles, was rund ums Thema Schwangerschaft wichtig ist. Um die Vereinbarkeit von Job und Vaterrolle zum Beispiel, oder um Gefühle der Ambivalenz oder Eifersucht, um Sex, Geburtsvorbereitung, Geburt, Kaiserschnitt. Und immer wieder um die Frage, wie man bei der Schwangerschaft dabei sein und seine Frau oder Partnerin konkret unterstützen kann. Der Aufbau ist übersichtlich, weil er jeden Monat gleich bleibt: Was passiert aktuell mit deiner Partnerin? Was mit dem Baby, mit dir selbst als baldigem Vater? Und was kannst du tun, um involviert zu bleiben?

Trotzdem: Wie bringt man Männer dazu, so ein Buch auch wirklich zu lesen?
Also ich habe auch nicht das ganze Buch gelesen, sondern immer wieder darin gestöbert. Eine tolle Möglichkeit ist, es dem Baby im Bauch vorzulesen. So haben wir es gemacht, das war sozusagen unsere erste Aktivität zu dritt: Ich habe dem Baby abends vorgelesen, damit es meine Stimme kennenlernt. So hatten wir alle drei etwas davon. Da die Kapitel in einzelne Häppchen unterteilt sind, geht das sehr gut: Man kann jederzeit abbrechen, wenn einer zu müde wird.

Hast Du auch andere Bücher zum Thema gelesen?
Ehrlich gesagt habe ich nie ein konventionelles Schwangerschaftsbuch angeschaut, das hat mich nicht so sonderlich interessiert. Da geht es um Dinge, die mir einfach zu abstrakt sind, die ich als Mann schlecht nachvollziehen kann. Aber ich wollte mich schon auch mit der Schwangerschaft befassen, ich wollte mit meiner Frau diskutieren können. «The Expectant Father» hat mich angesprochen, weil ich mich verstanden gefühlt habe, weil Väter darin eben auch Hauptfiguren sind, nicht nur ein Nebengedanke. Schliesslich wird auch darauf eingegangen, welche Fragen/Probleme zwischen den werden Eltern während der Schwangerschaft auftreten können.

Wie bist du darauf gekommen?
Ich habe das Buch von einem neuseeländischen Freund erhalten, sonst hätte ich es wahrscheinlich nie kennengelernt. Es ist so ein Buch, das man untereinander weitergibt; mein Exemplar ist voller Widmungen, die ein Freund  dem nächsten hineingeschrieben hat. Jetzt gebe ich es selber weiter.

«Mein Exemplar ist voller Widmungen, die ein Freund  dem nächsten hineingeschrieben hat. Jetzt gebe ich es selber weiter.»

Was hat dir daran gefallen?
Das Beste war, dass das Buch nach Monaten aufgebaut ist und nicht nach Themen. Es ist also kein Buch, das man von A bis Z lesen muss, sondern in das man reinschauen kann, wenn man gerade Zeit hat und nachschlagen will, was im Moment aktuell ist. Es ist kein wissenschaftliches Buch, aber der Autor lässt viele wissenschaftliche Befunde einfliessen und belegt seine Aussagen. Das ist für mich wichtig. Gleichzeitig ist es wirklich sehr hands-on und brauchbar. Ein Beispiel: Was soll man ins Spital mitnehmen – auch für sich selbst? Daran denkt doch keiner.

Und sonst noch?
Der Autor mag Listen. Er verwendet viele Bullet Points und strukturiert die Erfahrungen und Informationen, die er zusammengetragen hat, indem er mit dem Wichtigsten anfängt und dann immer detaillierter wird. Und last but noch least flicht er auch immer wieder Humor und Selbstironie ein.

Und was nervt?
Manchmal übertreibt es Brott mit seinen Listen, weniger wäre vielleicht mehr. Ausserdem ist das Buch sehr US-amerikanisch geprägt, man muss es in diesem Kontext lesen und manche Aussagen relativieren. In Monat vier zum Beispiel geht es darum, Sparpläne für den College-Besuch zu prüfen. Verrückt, sich schon im vierten Schwangerschaftsmonat mit dem Studium des Babys auseinandersetzen zu müssen! Wir brauchen uns hier zum Glück in der Regel keine solchen Gedanken zu machen.

«Im englischen Sprachraum ist es seit zwanzig Jahren ein Klassiker, bei uns gibt es leider nichts Entsprechendes.»

Gibt es das Buch auch auf Deutsch?
Leider nein. Aber es ist gut verständlich und angenehm zu lesen, nicht abgehoben. Wenn man einigermassen Englisch versteht, sollte es gehen, ohne viele Wörter nachschlagen zu müssen. Im englischen Sprachraum ist es seit zwanzig Jahren ein Klassiker, bei uns gibt es leider nichts Entsprechendes. Es gibt langsam auch ein paar deutschsprachige Bücher für Männer zum Thema Schwangerschaft, aber die sind eher humoristisch geprägt. Bisher habe ich keines gesehen, das mich so hilfreich und doch gut lesbar dünkte wie «The Expectant Father».

Gian Carlí Stäubli ist vor einem Jahr Vater geworden. Er mag die Berge sowohl im Sommer als auch im Winter und liebt es, neue Orte zu entdecken – jetzt am liebsten zu dritt.