Kleinstadt ist im Sommermodus – weniger neue Beiträge, dafür hin und wieder eine Reprise. Dieses Interview mit Bea Johnson haben wir bereits im Dezember 2016 geführt, aber das Thema Zero Waste erscheint uns heute aktueller denn je. Im Rahmen des Plastic Free July empfehlen wir es zum Wiederlesen. Viel Inspiration und einen schönen Sommer euch!
In Lederjupe, hochhackigen Stiefeletten und Lederjacke steht Bea Johnson in der Berner Heiliggeistkirche und hält eine Predigt. Die Bänke sind voll, die Kirchgänger lauschen ihrer Botschaft aufmerksam. Die Franko-Amerikanerin, die so gar nicht aussieht wie eine Öko-Missionarin, hat es sich zum Ziel gemacht, den Abfall auf der Welt zu reduzieren. Sie nennt ihre Mission «Zero Waste»: Ihre vierköpfige Familie produziert pro Jahr nicht mehr als ein Einmachglas Müll, und das offensichtlich ohne auf einen lustvollen Lebensstil zu verzichten, wie aus vielen Bildern in ihrem Vortrag deutlich wird und sie auf ihrem Blog illustriert. Wir haben Bea Johnson vor ihrem Auftritt in Bern im Dezember 2016 zum Interview getroffen.
Bea Johnson, Sie predigen Ihre Botschaft hier in Europa, wo wir ohnehin schon einen hohen Recycling-Anteil haben. Wäre es nicht viel wirkungsvoller und nötiger, Ihre Landsleute in den USA von Zero Waste zu überzeugen, wo der Müll immer noch in Deponien vergraben wird?
Halt, halt. Bei Zero Waste geht es nicht darum, mehr zu recyceln, sondern gerade weniger. Wir recyclen nur das, was wir nicht vermeiden können. Wer Recyclebares kauft, hält das System am Laufen. Wer Plastik kauft, sendet die Botschaft aus: Ich liebe Plastik! Produziert mehr Plastik! Selbst wenn etwas recycelt wird: Irgend einmal, am Ende des Lebenszyklus, wird auch daraus Müll. Hinzu kommt, dass Plastikverpackungen für Lebensmittel teilweise Gifte enthalten. BPA (Bisphenol A), das in gewissen Lebensmittelverpackungen und anderem Plastik enthalten ist, wird mit kleineren Penissen bei Neugeborenen in Verbindung gebracht (Anm. d. Red.: Diese Aussage konnten wir so nicht verifizieren). Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich trete da auf, wo man mich hinbittet.
Ist es nicht paradox, dass Sie dafür um die ganze Welt reisen und eine riesige Mengen CO2 produzieren?
Diese Frage ist unvermeidlich. Aber ich habe nie gesagt, dass ich die grünste Person der Welt bin. Mein Ziel ist es, den Abfall zu reduzieren. Wenn ich nur eine Person auf dieser Reise von Zero Waste überzeuge, hat es sich schon gelohnt. In Zürich sollen bald zwei Unverpackt-Läden eröffnen – das war auch eine Folge meines Auftritts dort. Zudem fliege ich ja nicht einfach schnell für einen Anlass nach Europa und wieder heim, ich halte 20 Reden auf dieser Rundreise. So erreiche ich viel mehr Menschen, als wenn ich daheim hinter meinem Computer sitzen würde.
Wo soll man anfangen, wenn man seinen Müll reduzieren will?
Zuerst mal mein Buch kaufen.
Das ist doch paradox – als erstes soll man einen Gegenstand kaufen?
Es gibt das Buch auch in der Bibliothek oder als E-Book. Darin ist alles geschildert. Sie beginnen dann mit drei kleinen Schritten:
Sie sagen, es sei ganz leicht. Aber in Bern gibt es zum Beispiel keinen verpackungsfreien Laden.*
Alleine auf dem Weg durch den Bahnhof bis hierher habe ich vier Läden gesehen, in denen es unverpackte Lebensmittel zu kaufen gibt: zwei Schokoladengeschäfte, eine Bäckerei und ein Teegeschäft. Sie müssen nur die Augen offen halten. Denken Sie auch an den Markt, den lokalen Metzger oder die Käsetheke.
Wie alt waren Ihre Kinder, als Sie das Zero-Waste-Konzept einführten?
Als wir damit anfingen, unser Leben zu vereinfachen, waren sie 5- und 6-jährig. Damals lebten wir nach einem Umzug aus unserem grossen Haus in einer Wohnung mit nur dem Nötigsten. Dort entdeckten wir das sogenannt «einfache Leben». Ein Jahr später kauften wir ein Haus und holten all unsere Dinge aus dem Lager. Dabei merkten wir, dass wir vieles überhaupt nicht vermisst hatten. Ein weiteres Jahr später setzte ich mir das Zero-Waste-Ziel und suchte nach Lösungen für jeglichen Aspekt unseres Lebens, bei dem Abfall anfiel. Damals gab es dafür noch keine Anleitung, ich musste alles selber herausfinden und testen. Es dauerte zwei Jahre, bis wir unser System, unsere Balance hatten. Seit 2010 leben wir nun ohne Abfall.
War die Umstellung nicht schwierig für die Kinder?
Die Kinder haben das nicht einmal bemerkt. Kinder haben simple Bedürfnisse. Es sind die Eltern, die alles kompliziert machen.
Spürten sie keinen Druck von Gleichaltrigen, die viel mehr Dinge haben?
Gegenfrage: Hätten Sie gedacht, dass ich von Kopf bis Fuss in Secondhand-Kleidern herumlaufe? Nicht unbedingt, oder? Bei meinen Kindern ist es dasselbe. Ich gehe zwei Mal pro Jahr in den Secondhand-Shop, Mitte April und Mitte Oktober, und kaufe unsere Kleider ein. Vorher frage ich die Jungs immer, welche Kleider sie möchten, und bringe ihnen dann eine Auswahl nach Hause. Was sie nicht wollen, spenden wir. Ich will nicht, dass sie mir in zehn Jahren einmal vorwerfen, sie hätten nie ein Quicksilver-Shirt tragen dürfen.
Wie reagieren die Freunde Ihrer Kinder darauf, dass sie anders leben?
Wenn uns Freunde unserer Kinder besuchen, sind sie meistens ziemlich beeindruckt, wie futuristisch und weiss alles ist bei uns. Sie merken gar nicht viel von Zero Waste. Sie werden bei uns mit einem Glas Milch und einem Guetzli willkommen geheissen wie überall sonst.
Sie haben alle nur sehr wenige Kleidungsstücke. Sind Sie nicht die ganze Zeit am Waschen?
Nein, das ist wieder so ein Irrglaube. In der Tat waschen wir wesentlich seltener als früher. Der Grund dafür ist einfach: Als die Kinder klein waren und sie eine Socke unter dem Sofa verloren oder Wasser auf dem T-Shirt verschüttet hatten, holten sie einfach einen frischen Ersatz aus dem Schrank. Heute wissen sie, dass sie nur eine Wochenration Kleider haben, deshalb holen sie die Socke unter dem Sofa hervor und trocknen das T-Shirt. Unser Wasserverbrauch beträgt einen Viertel des örtlichen Durchschnitts – ich wasche viel, viel seltener als früher.
Verleidet Ihnen Ihre Garderobe nicht manchmal?
Nein. Ich habe mal ausgerechnet, dass ich mit meinen wenigen Kleidungsstücken mehr als 70 verschiedene Looks kombinieren kann. Ich habe 7 Oberteile, 2 Kleider, 2 Jupes, 1 paar Shorts, 2 Paar Hosen, 1 Pullover, 5 paar Schuhe, 3 Jacken. Die ganze Familie hat nur so wenige Kleider, dass sie alle jeweils in einen kleinen Koffer passen. Wenn wir in die Ferien fahren, packen wir einfach unsere gesamte Garderobe, lassen einen Reinigungsdienst kommen und vermieten unser Haus unter. Das erlaubt uns immense Freiheiten. Unser Geld stecken wir nicht in Dinge, sondern in Erlebnisse. So war es uns möglich, unglaubliche Dinge zu tun: Eisklettern, Schnorcheln zwischen zwei Kontinenten, Canyoning, Kayaking …
Mit Kindern nimmt der Lebensmittelmüll exponentiell zu. Was machen Sie mit Essensresten?
Wir verschwenden keinerlei Essen in unserem Haushalt. Dabei helfen uns verschiedene Massnahmen: Zum Beispiel bewahren wir unsere Lebensmittel in Glasbehältern auf. Wir sehen also immer, was wir noch haben. Bevor wir einkaufen, machen wir ein Inventar und wissen, was wir wirklich kaufen müssen. Unser Kühlschrank ist eine Schublade – das ist ebenfalls übersichtlicher. Bei einem Schrank vergisst man immer die hinteren Artikel, sie laufen ab, man muss sie wegschmeissen. Wir haben immer nur eine Sorte Pasta, Getreide etc., bei der wir aber variieren – das beugt auch der Gefahr vor, dass immer nur die Lieblingssorte gegessen wird und der Rest abläuft. Lebensmittel sollten auf einer Ebene direkt ersichtlich sein. Wenn ich jemanden daheim berate, empfehle ich immer, den Kühlschrank in der Tiefe zu verkleinern, damit Essen nicht hinter anderen Dingen vergessen geht.
Was ist mit kleinen Kindern? Ich habe einen Zweijährigen daheim, der mal alles verputzt, mal praktisch nichts anfasst. Wie vermeidet man Food Waste mit Kleinkindern?
Man muss die Reste immer wieder neu erfinden. Meine Kinder haben gelernt, dass sie ihren Teller immer ausessen müssen. Wir servieren ihnen nicht mehr, als sie normalerweise essen, eher kleine Portionen. Manchmal passiert es, dass eines meiner Kinder mit einem ungegessenen Sandwich von der Schule heimkommt. Es kam auch schon vor, dass ein Sandwich das ganze Wochenende über im Rucksack liegen blieb. Das ist mir egal: Ich öffne das Sandwich, lege es unter den Grill, das tötet hoffentlich die schlechten Bakterien ab (lacht). Aus dem Brot lassen sich Croutons machen, Käse kommt in eine Quiche – es lässt sich praktisch alles weiterverwenden.
Was ist mit Geschenken? Geburtstage und Weihnachten arten oft in einer Materialschlacht aus.
Wir schenken keine materiellen Dinge, sondern Erfahrungen und Erlebnisse. Max ging zu seinem 15. Geburtstag Skydiven, Leo geht zu seinem 15. Geburtstag Bungeejumpen. Wir sind viel auf Reisen, das kombiniere ich meistens mit Vorträgen, und dort erleben wir auch wieder viel. Früher war ich es, die diese übertriebenen Weihnachtsfeste kreiert hatte, die nach einer Wunschliste fragte. Es sind nicht die Kinder, die das wollen. Wir haben unsere Kinder schon früh gelehrt, dass der Weihnachtsmann nur ein Geschenk pro Kind bringt. Der nächste Schritt waren Secondhand-Geschenke. Lego und Playmobil beispielsweise halten ewig, und man kann sie sehr leicht gebraucht kaufen.
Es ist schwierig, das in der Familie zu kommunizieren. Die Grossmutter unseres Sohnes wäre enttäuscht, wenn sie ihm nichts zum Geburtstag schenken dürfte.
Die Eltern dürfen dies durchaus so mitteilen: Wir wollen weniger Dinge, bitte schenkt den Kindern Erlebnisse statt Materielles. Dabei ist es wichtig, den Leuten Beispiele zu nennen. Das erste Zero-Waste-Geschenk der Grosseltern an unsere Kinder war ein Gutschein für die Gelateria. Es ist auch wichtig, selber als Vorbild voranzugehen – wer Zeug verschenkt, wird Zeug erhalten.
* Unterdessen gibt es einen, Palette an der Münstergasse 18.
Buch: Bea Johnson, Zero Waste Home – Glücklich leben ohne Müll! — www.verlag-ludwig.de
Blog: Bea Johnson — www.zerowastehome.com