Die Berner Filmemacherin Verena Endtner hat für ihren neuen Dok-Film «Von der Rolle» drei Familien begleitet, die sich die Familienarbeit anders aufteilen, als dies traditionell der Fall ist: eine Tänzerin und ein Musiker, eine Businessfrau und ein Hausmann sowie eine Juristin und ein Polymechaniker. Der Film unterhält und inspiriert, hält einem aber auch immer wieder den Spiegel vor. Endtner hat an Filmschulen in London und Vancouver Regie studiert. Sie ist Mutter eines 8-jährigen Sohnes und führt mit ihrem Partner Dan Riesen die Werbeagentur Aloco in Bern.
Auf den Bildern zu diesem Artikel ist sie mit ihrem Sohn an verschiedenen Drehorten zu sehen – für «Die Frau mit den Bluthunden» reiste Endtner beispielsweise in den Kongo. Die Berner Vorpremiere von «Von der Rolle» findet am 27. Februar 2020 statt, ab 5. März 2020 läuft der Film in der ganzen Deutschschweiz. Mehr Informationen sowie die Spielorte und -daten auf www.von-der-rolle.ch, hier kann man Tickets reservieren.
Verena Endtner, Ihr Film «Von der Rolle» bietet einen tiefen Einblick ins Privatleben von drei Paaren mit Kindern. Sie sind selber Mutter eines achtjährigen Sohnes und als Filmemacherin auf der ganzen Welt unterwegs. Wie sind die Rollen bei Ihnen aufgeteilt?
Mein Partner und ich teilen uns alle Arbeit auf. Wir arbeiten beide 80%, betreuen unseren Sohn zu gleichen Teilen und waschen und putzen auch gemeinsam, wobei er wohl beim Letzteren eher mehr Hand anlegt, wenn ich ehrlich bin. Wer gut hinschaut, kann im Film unseren Sohn erkennen.
War Ihr Sohn beim Dreh dabei?
Manchmal darf er mitkommen auf einen Dreh, wenn gerade keine Betreuung möglich ist. Da sind wir als selbständig Arbeitende flexibel. Es ist gut, dass mein Sohn mitbekommt, was ich arbeite. Das erweitert seinen Horizont. Er kommt so an Orte und mit Menschen in Kontakt, die er sonst nie kennenlernen würde.
Sie sagen, Sie teilen sich die Familienarbeit 50/50 auf. Funktioniert diese Aufteilung in Ihrem Haushalt wirklich? Gibt es keine Reibungsflächen?
Doch, Reibungsflächen gibt es immer. Jeder hat andere Vorstellungen in Bezug aufs Erziehen, auf den Haushalt oder die Karriere. In jeder Partnerschaft muss das ausgehandelt werden, auch bei uns. Wichtig ist, auf den anderen einzugehen, Bedürfnisse zu artikulieren und auch mal nachzugeben. In unserer Beziehung gab es diese Stereotypen – ich, die Frau, bin für das Putzen, Kochen und Kinderbetreuen zuständig, mein Partner ist der Geldverdiener, Handwerker und Biertrinker – nie. Nur beim Autofahren haben wir das Muster, dass immer er fährt, wenn wir zusammen unterwegs sind. Wohl, weil er es einfach lieber macht und ich das Fahren eher als notwendiges Übel ansehe.
«Die Paare müssen aufhören, die Arbeitsteilung nach den Geschlechterrollen zu definieren und unabhängig von Klischees nach Ideen, Vorlieben und Fähigkeiten fragen.»
Was braucht es Ihrer Erfahrung nach, damit die Aufgabenteilung funktioniert? Haben Sie Tipps?
Die Paare müssen aufhören, die Arbeitsteilung nach den Geschlechterrollen zu definieren und unabhängig von Klischees zuerst sich und dann den Partner fragen, was die Ideen, Vorlieben und Fähigkeiten sind. Eine ideale, offene Gesellschaft macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Das ist vielleicht etwas aufwändiger, aber sicher befriedigender auf Dauer. Es gibt nun einmal Leute, die finden Putzen meditativ und räumen mit der Wohnung auch gerade ihr Leben auf. Andere sind besser im Umgang mit Kindern oder begabt im Handwerk. Idealerweise ergänzen sich die Paare. Bei Reibungsflächen hilft Humor und Gelassenheit!
Das klingt so leicht. Aber im Alltag fällt es doch manchmal sehr schwer, humorvoll und gelassen zu bleiben. Ihnen nicht?
Doch, sicher gibt es auch stressige Situationen. Dann heisst es: Einfach mal tief durchatmen und eine kurze Pause einlegen. Im Film gibt es auch «brenzlige» Situationen, die wir bewusst drin gelassen haben, sie gehören halt zum Leben dazu. Im Nachhinein sind alle schlauer und würden es besser machen.
Sie arbeiten mit Ihrem Partner auch noch sehr eng zusammen, Sie haben eine gemeinsame Agentur. Wird das nicht manchmal zu eng?
Das wir zusammen arbeiten, hat viele Vorteile. Wir können uns flexibel absprechen. Oft kommt noch etwas Dringendes rein und dann geht halt derjenige, der gerade nicht unter Zeitdruck steht, nach Hause kochen. Zudem betreuen wir unsere eigenen Bereiche: Ich mache die freien Kino- und TV-Produktionen, mein Partner ist für kommerzielle Filmprojekte, Fotografie, Webdesign und Grafik zuständig. Wichtig ist auch, dass wir in getrennten Räumen arbeiten, so hat jeder etwas Ruhe, um konzentriert arbeiten zu können.
«Noch schlimmer wird es in der Regel nach der Geburt. Mit Stillen fängt es an, und du wirst gnadenlos in die Mutterrolle gedrängt.»
Was hat Sie dazu bewegt, einen Film über Rollenbilder zu machen?
Es waren vor allem die Rollenbilder und Erwartungen, mit denen ich konfrontiert wurde, als ich Mutter wurde. Ich dachte bis dahin, dass in der Schweiz Frauen doch relativ selbstbestimmt leben können. Die Klischees und Rollenzuweisungen, die eine Mutter schon in der Schwangerschaft erfährt, sind aber enorm. Zum Beispiel bin ich hochschwanger noch in den Tschad geflogen, um dort einen Dokumentarfilm fertig zu stellen. Es ging so weit, dass die Leute mich nicht ins Flugzeug steigen lassen wollten. Auch Skifahren und Velofahren wurde mir teilweise verboten, dabei weisst du doch als schwangere Frau am besten, was dir guttut. Noch schlimmer wird es in der Regel nach der Geburt. Mit Stillen fängt es an, und du wirst gnadenlos in die Mutterrolle gedrängt. Und werden Männer, die eben Vater geworden sind, von der Personalabteilung zum Gespräch eingeladen, um zu besprechen, wie das mit der Teilzeitarbeit nun weitergehe?
Was haben Sie bei den Dreharbeiten von den Paaren gelernt?
Es war sehr spannend zu sehen, wie diese doch sehr unterschiedlichen Paare im Privaten die Hausarbeit aufteilen. Nicht immer war ich einverstanden, aber ich habe gelernt, dass es 1000 richtige Möglichkeiten gibt, Dinge anzupacken. Sich im Privaten so zu exponieren, braucht Mut, und dafür bin ich allen Protagonisten dankbar, die sich für «Von der Rolle» zur Verfügung gestellt haben. Immerhin zeigen sie nicht nur die heile Welt, und es krachte auch ab und zu.
Welche Botschaft möchten Sie den Frauen und Männern, die den Film sehen, auf den Weg geben?
Leute, habt mehr Vertrauen in eure Fähigkeiten, ihr macht das schon richtig! Intuitiv machen Frauen und Männer meistens das Richtige mit den Kindern. Ich persönlich bin ruhiger geworden und mache mir weniger Stress, wenn etwas gerade nicht so läuft, wie ich es mir wünsche. Zudem bin ich etwas abgehärtet gegen Kritik von aussen und lasse mir nicht mehr so leicht ein Frauenbild aufdrängen. Wichtig im Business sind zudem die Seilschaften. Wenn sie von Frauen auch nicht in der Rekrutenschule geknüpft werden, so ist es doch wichtig, Unterstützung zu haben, nicht zuletzt bei der Vermarktung eines Filmes. So ist zum Beispiel mein ganzes Netzwerk aufgefordert, in der ersten Kinowoche, ab dem 5. März, die Säle zu stürmen, um «Von der Rolle» zu sehen, denn die erste Woche entscheidet über Erfolg oder Nichterfolg eines Filmes.