Für unsere Kinder haben wir ständig ein Ritual parat: das Gutenachtritual, das Tschüsssagen, den Samstagmorgen-Märit-Kafi-Gipfeli-Ablauf, die Familienbräuche vor Weihnachten mit viel Guetzliteig, das Zähneputzritual und das Baderitual. Vergessen wir mal ein Zeremoniell, fordern die Kinder es vehement ein. Ich merke auch, mir ist es wichtig, manche Rituale aus meiner Kindheit – wie die legendäre Fahrt nach Italien und das erste Cappuccino auf der Raststätte – weiter zu geben.
Kinder lieben Rituale. Mehr noch, sie geben ihnen Halt und Sicherheit bei den Übergängen vom Einen ins Nächste. Im Grunde geben ritualisierte Abläufe uns allen das Gefühl, dass das Leben in wohl geordneten und behüteten Bahnen verläuft.
Bloss sind wir Erwachsene mit uns selber weit weniger rücksichtsvoll als mit dem Nachwuchs. Wir erwarten von unseren voll ausgewachsenen Psychen, dass sie sich gefälligst immer sofort auf die nächste Situation einstellen können. Wir erlauben uns oft nicht mal 15 Minuten, um in Ruhe aus dem Haus zu gehen. Kurz vor knapp stülpen wir uns die Schuhe über, suchen noch panisch den Schlüssel und katapultieren uns auf die Strasse. Dass das nicht gross zu unserem Wohlbefinden beiträgt, muss ich wohl nicht noch herausstreichen.
Wir Erwachsene sind mit uns selber weit weniger rücksichtsvoll als mit dem Nachwuchs. Wir erwarten von unseren voll ausgewachsenen Psychen, dass sie sich gefälligst immer sofort auf die nächste Situation einstellen können.
Ich selber bin ein grosser Fan von Ritualen geworden. Mein Tag beginnt mit einem Morgenritual, einfach Kerzen anzünden, sitzen und atmen. Das hat sich für die Psychohygiene enorm bewährt. Seit der Geburt meiner Tochter versuche ich auch bewusster vom alten ins neue Jahr zu wechseln. Ich versuche zurückzuschauen und loszulassen. Und ich versuche, mich im Hinblick auf das Neue und Unbekannte innerlich auszurichten.
Einfacher wäre es natürlich, wenn ich mir viel Zeit dafür nehmen könnte. Aber das ist nicht immer möglich, schon gar nicht während der Weihnachtsferien. So habe ich begonnen, die ganze Familie zu involvieren. Die Kinder finden das natürlich super.
Das sind meine drei Rituale zu Jahresende, die jede und jeder für sich persönlich oder mit der ganzen Familie zelebrieren kann.
Feuer steht fast immer für Transformation. Es führt von einem Zustand in den nächsten.
Feuerrituale sind seit Jahrhunderten auf allen Kontinenten und quer durch die Kulturen bekannt. Feuer steht fast immer für Transformation. Es führt von einem Zustand in den nächsten, zum Beispiel auch von Holz zu Asche, respektive Erde.
Das Ritual, das ich für mich angepasst habe, kommt aus den schamanischen Traditionen Südamerikas.
Man braucht dazu:
Wenn das Feuer eine gute Glut hat, bläst jede Person in das erste Stöckli das, was sie loslassen will. In das andere Stöckli pustet sie den Wunsch, bzw. das, was sie im neuen Jahr hereinrufen will. Dann übergibt sie beide Stöckli dem Feuer.
Ich finde es besonders kraftvoll, mein Loslass-Stöckli zu beobachten. Wie das Alte zu Glut wird und dann zu Asche zerfällt.
Der Zusatzast steht für Mutter Erde. In ihn blasen wir das hinein, was wir uns für die Gemeinschaft und unseren Planeten wünschen. Dann übergeben wir auch ihn dem Feuer.
Wenn es passt, verbrenne ich auch gern die Dinge, die abgeschlossen sind. Vielleicht einen alten Vertrag, eine bestandene Prüfungsarbeit, die mich viel Energie gekostet hat, ein altes Tagebuch.
Visualisierungen sind nicht zu unterschätzen. Unsere Spiegelneuronen vergessen nicht, was wir ihnen zeigen.
Ich habe mich lange gewehrt, ein Vision-Board zu machen. Das klang mir zu sehr nach New-Age-Woodoo. Seit ein paar Jahren mache ich sie aber, und zwar folgendermassen:
Aus Illustrierten schneide ich Bilder aus und klebe sie auf einen A3- oder sogar A2-Bogen. Ich wähle Abbildungen, die das vermitteln, was ich mir für meine persönliche Entwicklung, für mein Familienleben und für meine Tätigkeit als Yogalehrerin und Doula wünsche. Aber das ist nicht allzu wörtlich zu nehmen: Zum Beispiel war auf meinem letzten Vision-Board ein Bild von zwei Händen die ein Küken halten, das gerade aus dem Ei schlüpft. Der Wunsch dahinter war nicht: «Praktikum auf einem Hühnerhof», sondern «Frauen auf dem Weg zum Mutterwerden begleiten».
Mein Vision-Board hängt dann das ganze Jahr über meinem Schreibtisch. Meist sehe ich es gar nicht mehr. Aber wenn ich es Ende Jahr abhänge, bin ich immer dankbar und erstaunt, was sich alles ergeben hat.
Ein Vision-Board kann man natürlich auch als Familie gestalten. Jede und jeder klebt Wunschbilder auf. Oder man überlegt gemeinsam, was man sich als kleines Kollektiv denn wünscht: Vielleicht mehr Zeit in den Bergen, mehr friedliche Abendessen, mehr Vorlesen und weniger Hetzen am Morgen.
Visualisierung ist ein nicht zu unterschätzendes Tool. Unsere Spiegelneuronen vergessen nicht, was wir ihnen zeigen.
Einen Wunsch auf die Aare setzen: Das ist ein Ritual, das sich wunderbar auch für die Silvesternacht mit Familie eignet.
Ich setze während der Altjahreswoche meist einen Wunsch auf die Aare. Das ist ein Ritual, das sich wunderbar auch für die Silvesternacht mit Familie eignet. Man braucht dazu ein möglichst umweltverträgliches Teelicht (aus Bienenwachs, Alu entfernen) und ein Stück Holz, am besten Rinde. Nicht zu vergessen, ein robustes Feuerzeug.
Am Ufer unten zündet man das Teelicht an und setzt es auf die Rinde. Während man dem Lichtfloss einen Schubs gibt, formuliert man still für sich, wovon man sich verabschieden und was man ins Leben einladen möchte.
Dann schaut man dem Lichtlein nach, bis es verschwunden ist.
* Elisa Malinverni ist Yogalehrerin und Autorin in Bern. Sie hat zwei Kinder. Für Mamas und Papas, die gerne den Jahreswechsel bewusst für sich gestalten möchten, unterrichtet Elisa drei Tage Yoga & Rituale im Berner Kirchenfeld. Alle Infos zu Inhale 2022, Exhale 2021 – ein Mini-Retreat zum Jahreswechsel hier.