Wir haben drei Erziehungsberater- und Beraterinnen gefragt, wie sie die Familie in der folgenden Situation beraten würden. Das ist die zweite Antwort, die erste findet ihr hier, die dritte folgt morgen.
Eine Mutter kämpft seit Jahren damit, dass ihr Sohn (7) morgens Mühe hat, das Haus zu verlassen. Jeden Morgen zögert er es heraus, seine Aufgaben zu erledigen (Anziehen, Zähne putzen, jetzt, wo er älter ist, sein Bett machen), häufig vergisst er sich im Spiel, will noch «schnell» etwas abschliessen oder beklagt sich über Dinge, die in dem Moment nicht änderbar sind. Oft endet es damit, dass sie ihn anschreit, jetzt endlich vorwärts zu machen. Sie haben bereits mehrmals versucht, die Uhr einzusetzen (mit Bildern, wann was erledigt sein muss), mit geringem Erfolg.
«Für jede solche Anfrage bin ich dankbar, denn nur schon das bringt meist eine Veränderung in die Situation: Wenn Eltern spüren, dass sie Hilfe brauchen, dafür Verantwortung übernehmen und sich auch Hilfe holen, nimmt das bereits eine große Last vom Kind. Wer weiß, vielleicht ändert sich bereits jetzt schon etwas? Bei einer Beratung würde ich die ganze Familie einladen, um alle kennenzulernen und um herauszufinden, was die Bedürfnisse und Wünsche in dieser Familie sind, welche Werte es gibt und welche Stimmung in der Familie herrscht. ›
In diesem konkreten Beispiel würde ich gerne wissen: Was heißt ‹seit Jahren›? Und ist es denn wirklich jeden Morgen so schwierig? Damit könnten wir den Blickwinkel auf diejenigen Momente bringen, in welchen es für Mutter und Sohn stimmig ist. Was machen sie dann anders oder wie unterscheidet sich dann die Situation? Ganz oft finden wir hier schon heraus, was beide brauchen, damit sich beide ernst genommen und gesehen fühlen. Die Mutter scheint ja schon einiges ausprobiert zu haben, beispielsweise die tolle Idee mit den Bildern auf der Uhr. Aber das sind halt alles Methoden, und Methoden lösen meist nur kurzfristig das Problem. Auch das Anschreien hat nichts geholfen, das verwundert mich ebenfalls nicht, den auch das ist eine Lösungsmöglichkeit, die nicht auf einer gleichwürdigen Beziehung aufbaut. Und damit möchte ich niemanden in eine Schuld-Falle stoßen, denn die Mutter hat vermutlich jeglichen Grund ‹mach mal endlich vorwärts› zu schreien. Aber damit sich die zwei hören und verstehen, braucht es etwas anderes: nämlich in Beziehung zu treten. Das geht nur, wenn sie sich gleichwürdig miteinander in einem Dialog befinden und sie beide ihre eigenen Grenzen kennen und mitteilen können. So kann die Mutter auch schreien – das darf auch sein! Wichtig ist dabei aber, dem Kind nicht die Schuld zu geben und es nicht abzuwerten, also seine Integrität und seinen Selbstwert nicht zu verletzen.
«Damit sich die zwei hören und verstehen, braucht es etwas anderes: nämlich in Beziehung zu treten.»
Also, mein Rat zusammengefasst: Ich würde der Mutter empfehlen zu überprüfen, was es morgens wirklich alles braucht. Muss das Bett wirklich jetzt gemacht werden? Gibt es auch andere Möglichkeiten für die Zahnhygiene? Was ist das Wichtigste zum Anziehen? Sind all diese Punkte dieser Familie wirklich wichtig? Oder macht … ‹man› das einfach so? Es ist eine große Erleichterung im Familienalltag, wenn jegliches ‹man sollte› einfach mal gestrichen wird.
«Es ist eine große Erleichterung im Familienalltag, wenn jegliches «man sollte» einfach mal gestrichen wird.»
Mit dem, was dann am Morgen noch übrig bleibt, gilt es herauszufinden, wo der Sohn gerade jetzt steht, was er braucht und wie ihn die Eltern darin unterstützen können, ihn pünktlich in die Schule zu begleiten. Als erste Notlösung zum Thema Schreien (in einer persönlichen Beratung ginge es natürlich auch darum herauszufinden, was die Mutter denn eigentlich so wütend macht): Man kann sich auch umdrehen und in die andere Richtung schreien oder schreien sich seine Verzweiflung so rausschreien: ‹Ich weiß einfach nicht mehr weiter, und ich verzweifle fast, dabei möchte ich so so gerne das du pünktlich in die Schule kannst. Was soll ich nur tun, kannst du mir das sagen?› und dann den Raum verlassen. Was ich allen Eltern mit auf den Weg geben möchte: Seien Sie liebevoll und geduldig zu sich selbst und vor allem nicht zu streng. Genießen Sie Ihr Kind! Genug gute Eltern reichen!»
Nina Trepp hat Soziale Arbeit und Psychologische Beratung studiert. Nach langjähriger Tätigkeit als Sozialpädagogin in Kinder- und Jugendheimen sowie als Schulsozialarbeiterin arbeitet sie seit 2013 in eigener Beratungspraxis, spezialisiert auf familiäre Belastungssituationen sowie Erziehungsberatung. Eine authentische und gleichwürdige Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen steht im Zentrum ihrer Beratungen.
Im Februar 2019 starten wieder die von Nina Trepp geleiteten Elternkurse zu Themen wie Grenzen setzen, Umgang mit Konflikten und elterliche Führung. Details dazu hier.