Am 2. Oktober nimmt das Geburtshaus Luna in Ostermundigen seinen Betrieb auf. Seit 16 Jahren ermöglicht es Frauen in Biel eine selbstbestimmte Geburt. Nun ziehen die Hebammen in die Berner Agglomeration um, in ein altes, denkmalgeschütztes Bauernhaus, das in den vergangenen Monaten aufwändig umgebaut wurde. Drei Gebärräume und fünf Familienzimmer entstehen im Oberdorf von Ostermundigen. Der Umbau wurde teils mittels Crowdfunding finanziert, das Budget war eng. Am 30. September wird der Umzug mit einem Fest gefeiert. Mitten in den tausend Dingen, die vor dem Umzug erledigt werden müssen, haben wir der Geschäftsführerin und Hebamme Susanne Clauss einige Fragen gestellt.
Susanne Clauss, warum zieht das Geburtshaus Luna um?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens wegen der Spitalfinanzierung. Wir brauchen mehr Geburten, damit wir überhaupt rentabel arbeiten können. Ein Wachstum wäre am bisherigen Standort nicht möglich gewesen. Zweitens zur Optimierung unseres Einzugsgebiets. Spätestens seit der Schliessung der Geburtshilfe am Spital Riggisberg haben wir festgestellt, dass immer mehr Bernerinnen zu uns kommen um zu gebären. Wir brauchten einen zentraleren Standort, und in der Region Bern gibt es schlicht mehr Geburten als im Einzugsgebiet Biel. Und drittens aus Platznot.
Mussten Sie denn schon Schwangere abweisen?
Das nicht, wir weisen niemanden ab. Aber wir können nicht alle Wöchnerinnen so lange bei uns behalten, wie wir uns dies wünschen würden.
Was heisst das?
Bei einer Überbelegung schicken wir, wenn es Mutter und Kind gut geht, die Familien teilweise nach ein bis zwei Tagen schon heim.
Was wäre denn die optimale Aufenthaltsdauer nach der Geburt?
Drei bis vier Tage sind bei uns der Durchschnitt. Ideal ist, was für alle stimmt. Wir nehmen bei dieser Entscheidung nur Einfluss, wenn wir das Gefühl haben, dass sich eine Wöchnerin falsch einschätzt, vielleicht im Hormonrausch überschätzt oder – im Gegenteil – unnötige Angst hat vor dem Heimgehen.
«Wir kennen keine fixen Zeitlimits. Wenn es Mutter und Kind gut geht und wir es fachlich verantworten können, hat eine Geburt bei uns so viel Zeit, wie sie braucht.»
Was unterscheidet eine Geburt im Geburtshaus von einer Spitalgeburt?
Der wichtigste Unterschied ist wohl, dass wir sehr wenig starre Regeln haben. Wir entscheiden sehr viel im Dialog mit den Eltern. Das beginnt schon ganz früh in der Schwangerschaft, und deshalb raten wir Schwangeren auch, sich schon für die erste Kontrolle bei uns zu melden, wenn sie bei uns gebären möchten. Wir schauen die Geburt nicht isoliert an. Und wir bestärken die Eltern in ihrer Kompetenz. Dadurch, dass wir fast keine Schemata kennen – ausser etwa in Notfallsituationen –, ergeben sich sehr viel Zeit, Raum und Ruhe. Wir kennen keine Zeitlimits im Sinne von «in einer Stunde muss das Kind da sein!». Wenn es Mutter und Kind gut geht und wir es fachlich verantworten können, hat eine Geburt bei uns so viel Zeit, wie sie braucht. Das zieht sich bis ins Wochenbett. Auch dort gibt es grosse Unterschiede.
Welche?
Wir haben Familienzimmer, in denen die Familien erst einmal ankommen können. Einen Hotelleriebetrieb. Das lässt sich überhaupt nicht mit dem Wochenbett im Spital vergleichen.
Das klingt nach Luxus. Wer kann sich das leisten?
Wir arbeiten genau gleich wie die Spitäler unter Fallpauschalen. Die Geburt wird von der Krankenkasse bezahlt. Der Mann bezahlt seinen Aufenthalt im Sinne eines Hotelzimmers. Aber natürlich müssen wir extrem gut rechnen, wie die Spitäler auch.
Für wen ist eine Geburt im Geburtshaus das Richtige?
Für gesunde Frauen mit einer normalen Schwangerschaft.
«Wir haben eine andere Sichtweise als die Mediziner, die stark pathologisieren. Manche Schwangere sind von all den Ultraschalls und Tests schon völlig verängstigt.»
Wer entscheidet, ob eine Schwangerschaft normal verläuft?
Das entscheiden wir zusammen mit der Frau. Wir haben da aber eine andere Sichtweise als die Mediziner, die stark pathologisieren. Deshalb raten wir ja den Frauen eben, möglichst früh zu uns in die Schwangerschaftskontrollen zu kommen. Manche Schwangere sind von der pathologisierenden Herangehensweise ihres Gynäkologen, von all den Ultraschalls und Tests schon völlig verängstigt.
Was sind denn berechtigte Ausschlussgründe? Wann kommt eine Geburt im Geburtshaus nicht infrage?
Bei Zwillingen; bei einer Plazenta, die komplett vor dem Muttermund liegt, einer Plazenta prävia totalis; bei Frühgeburten, also vor der 37. Schwangerschaftswoche; und bei Kindern, die sich nicht in die Kopflage drehen, also Steisslagen.
Auch bei Steisslagen wären Spontangeburten möglich, nicht?
Ja. Wir motivieren die Frauen, spontan zu gebären, aber sie müssen dazu in ein Spital. Wir suchen aktuell noch Geburtshelferinnen und Geburtshelfer, GynäkologInnen, die wieder bereit sind, solche Geburten zu begleiten. Im Luna werden sie aber nicht gebären können. Wir sind im Gespräch und am Abklären.
Und sind Geburten nach Kaiserschnitten bei Ihnen möglich?
Sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt sind: Der Kaiserschnitt muss mindestens ein Jahr her sein; es muss ein komplikationsloser Querschnitt gewesen sein; und die Frau muss es wollen. Dann führen wir eine gründliche Risikoaufklärung durch. Und verlegen allenfalls schneller. Aber das wird alles von Fall zu Fall entschieden.
Was, wenn eine Frau oder ein Kind verlegt werden muss? Wohin fahren Sie?
Auf die Neonatologie in die Insel, dort sind wir in 15 bis 20 Minuten mit der Ambulanz. Ansonsten sind wir noch auf der Suche nach einem guten Partnerspital, der den Weg zusammen mit den Frauen weitergeht und ihr noch einmal Zeit gibt. In Biel hatten wir diesbezüglich grosses Glück mit dem Spitalzentrum.
«Sie stellen sich das vermutlich mit Blaulicht und Sirene vor. Aber die Verlegungen sind meistens unspektakulär, oft im Privatauto.»
Wann wird verlegt?
Sie stellen sich das vermutlich mit Blaulicht und Sirene vor. Aber die Verlegungen sind meistens unspektakulär, oft im Privatauto. Wenn eine Geburt sehr lange dauert, die Frau erschöpft ist und nicht mehr kann beispielsweise. Niemand muss mehr drei Tage gebären wie im Mittelalter.
Und wenn man sich plötzlich doch eine Periduralanästhesie wünscht?
Eine PDA gibts bei uns nicht, wir haben keine Anästhesie. Das ist ein Eingriff in den natürlichen Verlauf und erfordert danach oft Wehenmittel. Das bieten wir nicht. Dazu müsste die Frau verlegt werden.
Ist denn kein Arzt da?
Nein, den Arzt brauchts nicht! Fast alle Paare wünschen sich Kinderarztkontrollen im Wochenbett. Aber für eine Spontangeburt braucht es keinen Arzt.
Wann sagen Sie: Jetzt überträgt die Frau zu lange, wir leiten ein?
Auch hier gibt es bei uns kein Schema. Wir entscheiden das zusammen. Dabei gibt es viele Faktoren zu beachten: Wie geht es der Mutter? Dem Kind? Arbeitet die Plazenta gut?
Zum Schluss: Das Geburtshaus Luna hat eine sensationell niedrige Kaiserschnittrate von 6,3 Prozent. Schweizweit liegt die Rate bei einem Drittel. Wie kommt das? Picken Sie sich einfach die risikolosesten Geburten heraus?
(lacht) Wir haben aus medizinischer Sicht fast die gleiche Klientel wie eine Privatklinik. Aber mit einer anderen Ausgangslage im Kopf. Die Frauen, die zu uns kommen, wünschen sich sehr stark eine natürliche, selbstbestimmte Geburt. Und wie schon erwähnt: Mit dem Spitalzentrum haben wir einen perfekten Partner dazu gehabt.
Geburtshaus Luna, Oberdorfstrasse 56 in Ostermundigen, 032 365 33 38, info@geburtshauslunabern.ch. Tag der offenen Tür am 30. September, 10–17 Uhr.