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Wenn der Krebs plötzlich ganz nah ist

Krebs trifft doch immer nur die Anderen, oder? Eben nicht! Spezialistinnen der Krebsliga Schweiz haben unsere Fragen zum Thema beantwortet.
16 Sep 2021
Bilder — National Cancer Institute USA

Für das Interview standen uns zur Verfügung: Nicole Steck, wissenschaftliche Mitarbeiterin Innovation & Entwicklung, sowie Carine Neyens, Fachberaterin am Krebstelefon. Beide arbeiten bei der Krebsliga Schweiz in Bern.

Krebs ist eine dieser typischen Krankheiten, die immer nur «die Anderen» betrifft. Es ist für uns selbst kaum vorstellbar, dass wir selber betroffen sein könnten – bis wir dann betroffen sind. Wie gross ist denn mein Risiko, an Krebs zu erkranken?
In der Altersgruppe der 35 bis 39-jährigen Frauen sind es 156 von 100’000, bei den 40- bis 44-jährigen erkranken jährlich rund 250 von 100’000 Frauen neu an Krebs.

Und das meines Mannes?
Dort sind es etwa 130 von 100’000 der 40-bis 44-jährigen Männern jährlich.

In der Altersgruppe von 25 bis 55 betreffen rund zwei Drittel der Krebsdiagnosen Frauen, ein Drittel Männer. Woher kommt dieser Unterschied?
Dieser Unterschied ist zum grössten Teil auf den Brustkrebs zurückzuführen. Obwohl auch Männer an Brustkrebs erkranken können, sind Männer davon viel seltener betroffen. Die gute Nachricht ist aber, dass heute die Überlebensrate von an Brustkrebs erkrankten Menschen dank Fortschritten in der Diagnose und Therapie bei rund 90 Prozent liegt. Bei den Sterblichkeitsraten sind denn auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen viel kleiner, etwa 27 von 100’000 Frauen sterben im Alter zwischen 40-44 an Krebs, bei Männern sind es rund 23.

Welches sind die häufigsten Krebsarten?
Fast die Hälfte der oben erwähnten 250 Frauen im Alter zwischen 40 bis 44 haben Brustkrebs, danach folgen Schilddrüsenkrebs, Melanome, Dickdarm- und Gebärmutterhalskrebs als häufigste Krebsarten bei Frauen.

Ich bin eine gesunde Frau um die 40. Würde ich es spüren, wenn in meinem Körper ein Krebs am Werk wäre? Wann würde ich es spüren? Und woran?
Das ist stark abhängig von der Art des Krebses. In den meisten Fällen treten Symptome aber erst sehr spät auf, und typische Krebssymptome gibt es nicht. Zur ärztlichen Abklärung sollte ich, wenn ich das Gefühl habe, dass sich in meinem Körper etwas anders anfühlt und ich beunruhigt bin.

«Typische Krebssymptome gibt es nicht.»

Ich gehe praktisch nie zum Arzt. Welche Vorsorgeuntersuchungen sollte ich unbedingt angehen, auch wenn ich mich gesund fühle?
Frauen sollten alle drei Jahre bei der Gynäkologin einen Check auf Gebärmutterhalskrebs machen (Abstrich) und die Brüste und Achselhöhlen auf Veränderungen abtasten lassen. Zudem empfehlen wir, sich bei der Hautärztin oder dem Hautarzt auf auffällige Veränderungen (Leberflecken, Muttermale und Pigmentflecken) untersuchen zu lassen, um so Hautkrebs in einem möglichst frühen Stadium zu entdecken. Weitere regelmässige Check-ups sind nicht empfohlen, da sie oft zu unnötigen Abklärungen führen und ein negatives Resultat nicht unbedingt ein Freipass bedeutet.
Für Menschen mit erblicher Vorbelastung in der blutsverwandten näheren Familie – insbesondere, wenn der Krebs in jungen Jahren auftrat – gelten andere Empfehlungen. In solchen Situationen kann die genetische Veranlagung bei einer Fachärztin abgeklärt werden.
Frauen ab 50 Jahren werden in vielen Kantonen der Schweiz alle zwei Jahre im Rahmen eines Screeningsprogramms zu einer Mammografie (Bruströntgen) eingeladen. Für Darmkrebs ist ein ähnliches Screeningprogramm im Kanton Bern im Aufbau, in gewissen Kantonen läuft das schon.

Woher kommt Krebs? Was löst ihn aus?
Krebs ist eine unkontrollierbare Zellvermehrung: Die DNA oder eine Zelle ist geschädigt. Als Folge davon wachsen die Zellen weiter, als sie eigentlich sollten, sie sterben nicht wie vorgesehen ab und sie wachsen in fremdes Gewebe. Unser Immunsystem reagiert in vielen Fällen und tötet solche Zellen ab, ohne dass wir davon etwas mitkriegen. Da Krebszellen gesunden Zellen aber sehr ähnlich sind, werden sie vom Immunsystem nicht immer erkannt. Ein Grossteil dieses Prozesses verläuft zufällig. Je länger ein Mensch lebt, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Fehlern und Schäden im Erbmaterial, ältere Menschen sind darum häufiger von Krebs betroffen als Junge.

Daneben gibt es mehrere Risikofaktoren, die eine Rolle spielen bei der Entstehung von Krebs, sei es der Lebensstil (z.B. Rauchen, Alkohol, Ernährung), externe Faktoren (z.B. UV-Strahlung, Viren, Pestizide) oder eben genetische Faktoren

Inwiefern kann man Krebs vorbeugen?
Vorbeugen kann man zu einem gewissen Grad, indem man die oben erwähnten Faktoren des Lebensstils anpasst, auf genügenden UV-Schutz achtet, und sich beispielsweise im Alter von 11 bis 26 Jahren gegen Humane Papillomaviren (HPV) impft, die zu einem erhöhten Risiko für Gebärmutterhalskrebs und andere Krebsarten führen. Uns ist aber wichtig zu betonen, dass nicht jede Person mit Risikofaktoren an Krebs erkrankt und nicht alle Menschen, die «gesund» leben, vor Krebs geschützt sind. Auch wenn viele Menschen nach einer Krebsdiagnose eine Erklärung für ihre Krankheit suchen und sich Vorwürfe machen: Krebs ist häufig einfach Schicksal. Das ist gerade auch bei erkrankten Kindern sehr wichtig zu betonen: Manchmal erleben wir ganz junge Kinder, die denken, dass sie Krebs hätten, weil sie zum Beispiel zu wenig Gemüse gegessen haben …

«Krebs ist häufig einfach Schicksal.»

Vorhin haben Sie erwähnt, dass Frauen die Brüste von der Gynäkologin abtasten lassen sollen. Gilt die Empfehlung, sich selber die Brüste zu untersuchen, nicht mehr?
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass systematisches Selbstabtasten bei der Früherkennung von Brustkrebs einen Nutzen bringt. Eine Selbstuntersuchung ist deshalb keine Früherkennungsmethode und kein Ersatz für eine ärztliche Untersuchung. Die Selbstuntersuchung kann aber dabei helfen, das Körperbewusstsein und das Gefühl für die eigene Brust zu verbessern. Bei ungewöhnlichen Veränderungen oder Beschwerden empfehlen wir, diese so rasch wie möglich ärztlich abklären zu lassen. Und ab 50 Jahren ist die wichtigste Methode zur Früherkennung von Brustkrebs die Mammografie.

Eine Krebsdiagnose und -therapie bindet enorm viele Ressourcen – mental, aber auch zeitlich. Gerade für Eltern von kleinen Kindern ist das eine unglaubliche Belastung. Was empfehlen Sie solchen Betroffenen?
Von Krebs betroffene Eltern sind mit vielen zusätzlichen Fragen konfrontiert: Wie erkläre ich die Krankheit meinen Kindern? Wie organisiere ich den Alltag und die Kinderbetreuung? Wie reagiere ich auf schwierige Gefühle der Kinder, die durch meine Erkrankung ausgelöst werden? Für solche Situationen sind die Krebsligen da. Wir haben ein umfassendes Angebot an Ratgebern, ein guter Startpunkt ist die Broschüre «Wenn Eltern an Krebs erkranken». Dort finden Eltern nach Alter abgestufte Tipps für Gespräche mit dem Kind; Informationen darüber, wer sonst noch über die Krankheit informiert werden sollte, aber auch Ideen für gemeinsame Rituale in dieser herausfordernden Situation. Für spezifische Fragen von Eltern und Kindern ist das Krebstelefon unter der Nummer 0800 11 88 11 in den drei Landessprachen und in Englisch da, wir bieten aber auch Chats und E-Mail-Beratung an. Zudem haben verschiedene kantonale Krebsligen, beispielsweise die Krebsliga Bern, Angebote zur Familienbegleitung. Bei diesem kostenlosen Unterstützungsangebot kommt eine Beraterin, ein Berater zur Familie nach Hause und steht allen Familienmitgliedern für einen Austausch zur Verfügung. 

«Es ist ganz wichtig, Kinder früh aufzuklären, denn sie merken in der Regel sofort, wenn in der Familie etwas nicht stimmt.»

Wie sollten Betroffene ihre Kinder über die Krankheit informieren? Oder ist es besser, erst einmal gar nichts zu sagen?
Es ist ganz wichtig, Kinder früh aufzuklären, denn sie merken in der Regel sofort, wenn in der Familie etwas nicht stimmt. Sagen Sie ihren Kindern immer die Wahrheit, wenn auch in kleinen Etappen und in kindgerechter Sprache. Und fragen Sie nach, wie es das Kind verstanden hat. Missverständnisse beginnen manchmal bei ganz banalen Dingen: Bei kleinen Kindern ist es beispielsweise wichtig zu sagen, dass dieser Krebs kein Tier ist, das im Körper lebt oder dass Krebs nicht ansteckend ist. Oft bilden sich bei Kindern auch Schuldgefühle, beispielsweise dass Papa jetzt krank ist, weil sie kürzlich einen Streit hatten. Da ist es ganz wichtig, solche Gefühle zu eruieren und dann zu widerlegen. Auf dieser Website sind weitere Tipps gesammelt, wie man Kinder einbeziehen kann.
Das Krebstelefon steht auch Kindern von betroffenen Eltern offen, dazu gibt es einen speziellen Chat für Kinder. Spezifisch für Jugendliche haben wir die Broschüre «Krebs – warum trifft es meine Familie?» erstellt.

Gewisse Betroffene fühlen sich nicht im Stande, zur Krankheit zu recherchieren und sich im riesigen Informationsangebot zurechtzufinden. Was empfehlen Sie solchen Leuten?
Nicht googlen – auch wenn das wahrscheinlich Wunschdenken ist. Nein, wir empfehlen Ihnen, sich an die fundierten Krebsinformationsseiten zu halten – diejenige der Krebsliga Schweiz und dem Krebsinformationsdienst Deutschland zum Beispiel.

Viele Betroffene möchten gerne selber etwas zur Heilung beitragen und suchen beispielsweise nach Nahrungsmitteln, die helfen sollen. Was ist ihre Haltung dazu?
Eine Anti-Krebsdiät gibt es nicht, und es gibt auch kein Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, das Krebs heilen kann. Das Beste ist eine ausgewogene Ernährung. Spezifische Fragen rund um die Ernährung schauen sie am besten gemeinsam mit einer Ernährungsberaterin an.

Und wie sieht es aus mit komplementärmedizinischen Angeboten?
Für Fragen rund um die Komplementärmedizin empfehlen wir die an den Spitälern Zürich, Bern und St. Gallen entstandenen Institute für integrative und komplementäre Medizin. Diese sind besonders auf onkologische Erkrankungen spezialisiert und verbinden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit langjähriger Erfahrung in komplementärmedizinischer Behandlung.

Nach Abschluss einer Therapie kämpfen einige Betroffene noch lange mit Spätfolgen der Krankheit oder Nebenwirkungen der Therapie. Welche Angebote in der Nachsorge gibt es?
Die Bedürfnisse nach Abschluss der Therapie ändern sich und sind sehr unterschiedlich. Gewisse «Cancer Survivors» sind wieder ganz gesund, andere haben mit Langzeitfolgen zu kämpfen. In diesem Bereich sind die kantonalen Krebsligen sehr aktiv (z.B. die Krebsliga Bern), sie bieten Übersichtskarten zu Rehabilitationsangeboten, Selbsthilfegruppen und Kurse (beispielsweise zur Ernährung), sowie psychosoziale Unterstützung. Und auch hier steht das Krebstelefon beratend zur Seite, beispielsweise bei der Frage rund um das Thema Kinderwunsch nach Krebs.

Wie reagiere ich am besten, wenn mir jemand von seiner Krebsdiagnose erzählt? Man hat ja grosse Angst, etwas Falsches zu sagen.
Schweigen Sie nicht, aber gehen sie behutsam vor! Als erstes gilt es, bei der betroffenen Person ein Ok für ein Gespräch einzuholen. Also beispielsweise: «Darf ich fragen, wie es Dir geht?» oder «Magst Du darüber reden?». Nicht alle Menschen sind zu jedem Zeitpunkt bereit für ein solches Gespräch, und das gilt es zu respektieren. Zweitens: Zuhören ist wichtiger als Sprechen! Verzichten Sie auch auf leere Floskeln («Das kommt schon wieder gut», «Da hast Du ja Glück im Unglück») und auch darauf, ihre eigenen Krankheitsgeschichten (oder solche von Bekannten) zu erzählen. Und wenn Sie nach dem Zuhören etwas für die Person tun möchten, fragen Sie nach: «Ich möchte gerne etwas für Dich tun, was würde Dir helfen?» oder «Was kann ich tun, damit es Dir ein bisschen besser geht?» Manchmal sind auch ganz konkrete Angebote hilfreich: «Soll ich bei der Krebsliga eine Broschüre für Dich bestellen?» oder «Möchten Deine Kinder jeweils am Mittwoch bei uns Mittagessen kommen?».

«Zuhören ist wichtiger als Sprechen! Verzichten Sie auch auf leere Floskeln.»

Und wo finden Angehörige Unterstützung und Informationen?
Eine Krebsdiagnose trifft auch die Nächsten. Als Angehöriger oder Bekannte werden auch sie Fragen und Ängste haben, da gilt es ebenfalls gut hinzuschauen und diese Sorgen nicht einfach wegzuwischen. Alle Beratungsangebote der Krebsliga (Telefon, online, persönliche Gespräche) stehen auch Angehörigen zur Verfügung und sind gratis.

 

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Krebstelefon der Krebsliga Schweiz: 0800 11 88 11 (für Betroffene und Angehörige)

Cancerline: Der Chat für Kinder und Jugendliche zum Thema Krebs

Broschüre für Eltern: Wenn Eltern an Krebs erkranken

Broschüre für Jugendliche: Krebs – warum trifft es meine Familie?

Angebot Familienbegleitung der Krebsliga Bern

Nanas Lunchbox – Entlastung für Familien in schwierigen Zeiten