«Da steht ja ein Haus direkt neben dem anderen!», sagte kürzlich mein 7-jähriger Neffe ganz verblüfft, als wir gemeinsam unsere Strasse in der Innenstadt abliefen. Der Neffe lebt in einem grossen Dorf, unsere Kleinstadt Bern ist für ihn eine völlig andere Welt. Im Kontrast dazu kennen meine eigenen beiden Söhne die Natur vor allem aus unserem Gärtli, den Wald aus Wimmelbüchern und Tiere aus dem Zoo oder an der Leine.
Das gibt mir manchmal zu denken, weil ich dermassen anders aufgewachsen bin: in einem winzigen Dorf mit etwa 160 Einwohnern und vermutlich weit mehr Kühen, Pferden und Schweinen. Wird den Buben mal etwas fehlen, wenn sie eine Buche nicht von einer Eiche unterscheiden können? Wenn sie nicht täglich mit Tieren in Berührung stehen und nicht auf einem Esel reiten lernen? (RIP, Sandy.) Wenn sie nicht wissen, welche Arbeit in einer Portion Pommes frites steckt, weil sie nie selber Kartoffeln gesetzt und geerntet haben?
Immer dann heilt mich ein Ausflug nach Bangerten. Mein Heimatdörfli, noch bis vor kurzem eine eigenständige politische Gemeinde, macht schon aus der Ferne eine fast kitschig idyllische Figur; auf einer kleinen Anhöhe hinter Münchenbuchsee Richtung Bucheggberg gelegen, mit seinen Bauernhöfen, Apfelbäumen und den geputzten Feldern. Kein Zug, nicht einmal ein Postauto führt dahin. Die nächste ÖV-Haltestelle liegt in Dieterswil, von wo ein etwa halbstündiger Fussmarsch nötig ist. Oder man reist mit dem Velo an, die verkehrsarmen Strassen und Wege laden geradezu ein dazu.
Zentrale Anlaufstelle ist die Wirtschaft zum Löwen, die meine Schwester Julia in fünfter Generation führt und wo viele Lebensmittel vom eigenen Hof stammen, der wiederum von meiner Schwester Anja bewirtschaftet wird. Natürlich bin ich absolut befangen, aber ich finde, das Essen hier ist dermassen fein, dass sich allein für das Entrecôte mit der würzigen Kräuterbutter und den hausgemachten Pommes frites die Anreise lohnt. Auf der lauschigen Terrasse entspannt es sich wunderbar (Handyempfang gibts auch kaum, digital detox!), währenddem die Kinder auf dem grossen Fussballplatz beim ehemaligen Schulhaus spielen oder den Hof entdecken mit seinen Tieren, Traktoren und Maschinen. (Fun Facts für den Beizensmalltalk: Jean Ziegler hat Wurzeln in Bangerten, ebenso wie der Leichtathlet und Bob-Olympiasieger Edy Hubacher.) Am Ende jedes Besuchs decken wir uns jeweils noch in Anjas Bauernhof-Kiosk, dem wohl hübschesten Hofladen weit und breit, mit einem Vorrat an Kartoffeln, Eiern und Öl ein.
Die Geisslein spazieren ohne Leine mit den Kindern durch Feld und Wald.
Wer etwas weiter vorausplant, kann mit den Kindern noch viel mehr erleben. Der Verein Chinderweidli der Sozialpädagoginnen Helen Jenni und Andrea Häusler bietet Stallnachmittage, Wald- und Wiesenputznachmittage, Pflanzenwerkstätten und sogar Prinzessinnen- und Ritternachmittage an; viele der Anlässe sind inklusiv, d.h. auch Kinder mit speziellen Bedürfnissen sind explizit willkommen und werden entsprechend betreut. Beim «erlebnispädagogischen Reiten» können Kinder begleitet Zeit mit Ponys und Pferden verbringen und spazierreiten, auch ein wunderbares Gotte- oder Göttigeschenk für kleine Rösslifans, wie wir aus eigener Erfahrung wissen.
Und die Zwergziegentrekkings von Lea Kamber sind ein Spektakel der allerherzigsten Sorte: Die Geisslein hüpfen ohne Leine mit den Kindern durch Feld und Wald, anschliessend können die Kinder dabei helfen, die Tiere zu striegeln, zu füttern und den Stall sauber zu machen. Lea Kamber kennt als Biologin alles, was kreucht und fleucht, und eröffnet den Kindern einen ganz neuen Blick auch auf Insekten. Die Trekkings werden ab 6 Personen durchgeführt (stelle ich mir als super Geburifestli vor), das ideale Alter der TeilnehmerInnen liegt bei 7-12 Jahren.
Und wer dem Dorfverein eine Spende einzahlt (BEKB 30-106-9) oder sich den Zugang dank guter Beziehungen zu Dorfbewohnern sonstwie verdient, kann sich an heissen Sommertagen sogar in der nicht öffentlichen Dorfbadi vergnügen, einem himmelblauen Pool inmitten einer Kuhfladenweide. Das Paradies auf Erden. «Bangerten Beach» nennen wir die Badi «für Bangerter und ihre Freunde» heute, ich selbst habe im «Weiher», wo mein Onkel Ruedi als erster Bademeister amtete, ganze Tage verbracht, hier schwimmen gelernt und mir manchen Sonnenbrand und Bienenstich geholt.
Die Dorfbadi ist ein himmelblauer Pool inmitten einer Kuhfladenweide. Das Paradies auf Erden.
Erst rückblickend begreife ich auch an diesem Beispiel, wie einzigartig dieses Dörflein ist und welche Freiheiten wir hier schon als kleine Kinder genossen. Der «Weiher» ist für mich zudem der beste Beweis dafür, dass Bangerten eben kein hundskomunes Bauerndorf ist. Welches andere Kaff hat schon einen eigenen Pool?
Auto – Autobahn bis Münchenbuchsee (Lätti), dort rechts bis Dieterswil, dort wieder rechts und dann alles geradeaus. ÖV – ab Bern mit dem RBS via Zollikofen bis «Dieterswil Dorf», dann zu Fuss ca. 30 Minuten. Mit dem Zug nach Münchenbuchsee und dann ca. 5 Kilometer zu Fuss oder mit dem Velo. Ab Messen führt eine schöne stündige Wanderung durch Wälder und über Wiesen.