Was haben die «Black Lives Matter»-Proteste mit uns zu tun? Diese Ressourcen helfen uns, das Thema Rassismus zu konfrontieren.
Die Nachrichten des gewaltsamen Tods von George Floyd sowie die Bewegung Black Lives Matter haben auch uns aufgerüttelt. Klar sind wir gegen Rassismus, aber was haben wir eigentlich bisher konkret dagegen unternommen? Zu meinen, man sei ja eh kein/e Rassistin, und tatsächlich anti-rassitisch zu sein, ist nicht dasselbe – das eine unserer vielen Erkenntnisse der letzten Tage. Und währenddem wir gerade viel lesen, hören und schauen zu diesem Thema, sind da ja noch unsere Kinder, die zum Teil auch mitbekommen, was die Erwachsenen so beschäftigt. Wir haben Ansätze gesammelt, wie wir mit ihnen über «Race» (das englische Wort hat nicht dieselbe Bedeutung wie Rasse, wie hier nachzulesen ist), Rassismus, Diskriminierung und Stigmatisierung reden können. Und auch zusammengetragen, was uns auf dieser Recherche für uns Erwachsenen (oder ältere Kinder) an Wissenswertem begegnet ist.
Ein Gedanke sollte dabei tragend sein: Während weisse Eltern und Eltern weisser Kinder meist die Wahl haben, ob sie sich mit dem Thema beschäftigen wollen oder nicht, ist es für People of Color, Schwarze Eltern oder ihre Kinder nicht einfach eine theoretische Möglichkeit, sondern Alltag. Das Thema ist einfach immer da.
Grundhaltung
Rassisten – das sind nicht einfach besonders böse, schlechte Menschen. Wir alle sind in einem rassistischen System sozialisiert worden und tragen deshalb rassistische Vorurteile in uns. Dieses Bewusstsein, dieses Eingeständnis ist zentral (lernen wir gerade bei Tupoka Ogette).
Wir alle sind in einem rassistischen System sozialisiert worden und tragen deshalb rassistische Vorurteile in uns.
Wichtig ist auch: Die Sprache prägt unser Denken. Welche Sprache verwenden wir rund um Rassismus? Ein Glossar der Neuen Medienmacher*innen klärt über die verschiedenen Begriffe auf und erläutert beispielsweise, warum wir nicht «farbig» sagen sollten und weshalb wir alle die Abkürzung PoC (People of Color) kennen sollten. (Apropos Sprache: Dass wir heute für irgendwelche Süssigkeiten keine rassistischen Bezeichnungen mehr benutzen, versteht sich ja wohl von selber. Wie wärs mit «Schoggichöpf»?)
Eltern sollen mit Kindern «behutsam und altersgerecht» über Rassismus sprechen, sagt Antirassismus-Trainerin und Autorin Tupoka Ogette in diesem Beitrag auf Deutschlandfunkkultur. Dort beantwortet sie auch die Frage, ob wir das Thema mit Kindern auch bereits aufgreifen sollen, wenn diese selber noch gar nicht mit Alltagsrassismus zu tun haben: «Ja, wenn wir Rassismus als Sozialisierung verstehen, denn Sozialisierung beginnt schon ganz früh.» Am besten den ganzen Beitrag hören.
Begegnungen statt Bücher
Sehr oft hat uns in den vergangenen Tagen die Frage nach Kinderbüchern erreicht, die sich mit Rassismus auseinandersetzen. Familiencoach Olivia Asiedu-Poku von FreeFamily Rocks entlarvt das Bedürfnis nach einer Bücherliste: «Bei Themen, mit denen wir uns schwertun, nehmen wir gern ein Buch zur Hand», sagt sie in diesem empfehlenswerten Instagram-Video. Für ein Kind, das ansonsten in einem völlig weissen Umfeld aufwachse, bleibe ein Kinderbuch mit einem schwarzen Kind eine erfundene Geschichte, ein Märchen. Ein Buch zu kaufen, helfe deshalb nicht im Bemühen gegen Rassismus, weil es nichts mit der Alltagsrealität des Kindes zu tun habe. Dann könne es sogar kontraproduktiv sein, weil das Buch den Glauben bestärkt, dass solche Probleme ja nichts mit dem eigenen Leben zu tun haben und die Ausgrenzung eher noch fördere. «Stattdessen sollten wir anfangen, Berührungspunkte zu schaffen.» Sie nennt dafür auch gleich einige konkrete Beispiele:
- Afrikanisch Essen gehen (in Bern zum Beispiel ins Injera, wo äthiopische Spezialitäten serviert werden und Kinder im besten Fall Kontakte zu anderen Kindern knüpfen können).
- Auf einen Spielplatz in einem anderen Stadtteil gehen, wo sie auf Menschen treffen, die anders aussehen als sie.
- Auf ein Kulturfest gehen.
Berührungspunkte im Alltag müssten also der erste Schritt sein, die diverseren Kinderbücher kämen erst danach. Sie empfiehlt: Statt online bestellen – in einen kleinen Buchladen zu gehen und mit der Buchhändlerin über das Thema sprechen, sodass die Kinder das mitkriegen und auch auf diese Weise einen offenen Umgang mit solchen Fragen lernen.
«Bei Themen, mit denen wir uns schwertun, nehmen wir gern ein Buch zur Hand.»
Gesprächsansätze
Diese Fragen haben wir von Safe Space Radio, deren Podcast über «Talking to white kids about race and racism» wir ebenfalls sehr empfehlen (er enthält auch ein eindrückliches Beispiel einer Dreijährigen, die eine rassistische Bemerkung macht, und wie ihre Mutter darauf reagiert).
- Beobachten und Fragen stellen, z.B. «Mir gefällt dieses Buch/dieser Film, aber mir fällt auf, dass alle Charakteren weisse Haut haben. Was denkst Du darüber?»
- Privilegien von weissen Menschen gemeinsam identifizieren und besprechen, z.B. «Wo haben wir als weisse Familie besseren oder einfacheren Zugang?» Dabei nicht vergessen, dass diese Privilegien nicht bedeuten, dass wir keine Probleme oder Schwierigkeiten in unserem Leben haben (vorsicht vor «Whataboutism»). Es bedeutet einfach, dass wir einige Vorteile haben, einfach, weil wir weiss sind – Vorteile, die Schwarze und PoC nicht haben.
- Die eigene Situation analysieren: Ab einem gewissen Alter kann man die Kinder fragen: «Hast Du eigentlich schon bemerkt, wie weiss unser Umfeld ist?» (falls das der Fall ist).
Sich auseinandersetzen
- Ausstellungen von Schwarzen Künstlerinnen und Künstlern besuchen. Im Kunstmuseum Bern ist beispielsweise gerade die beeindruckende Ausstellung von El Anatsui zu sehen. Der ghanaische Künstler fertigt grossflächige teppichartige Gebilde aus Verschlüssen und anderen Abfallmaterialien an und thematisiert damit auch die Auswirkungen des Kolonialismus. Die Ausstellung ist auch für Kinder sehr zu empfehlen, einfach vorher darauf aufmerksam machen, dass sie nichts anfassen dürfen!
- Evas Familie ist vergangene Woche zufälligerweise an der Fotoausstellung Seenotrettung von SOS Mediterranee vorbeigekommen. Steht nicht in direktem Zusammenhang zu Rassismus, aber die Bilder sind unglaublich eindrücklich und bieten eine gute Diskussiongrundlage für ein Gespräch mit Kindern über Migration und deren Hintergründe und die Rolle europäischer Staaten in Flüchtlingsdramen. etc. Ausstellung nur noch heute 15. Juni auf dem Bahnhofplatz in Bern, ab 24. Juni dann in Luzern.
- Die Ausstellung «Homo migrans» des Bernischen Historischen Museums haben wir noch nicht gesehen, das holen wir aber bald nach. Allein das Wissen, dass die Menschen ursprünglich aus Afrika kommen, sollte ja eigentlich viele rassistische Klischees entkräften.
Lesen
- Ein Must-read für alle Reisefans: Die Broschüre «Mit kolonialen Grüssen …» des Vereins glokal ermöglicht eine rassismuskritische Betrachtung von Erzählungen aus Auslandaufenthalten. Bei dieser Lektüre habe ich mich (Eva) besonders ertappt gefühlt…
- Das bereits 2013 erschienene Buch «Americanah» der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie eröffnet neue Horizonte.
- Die Reportagen-Geschichte «Reise zu den Ahnen» erzählt von Schwarzen AmerikanerInnen, die in Afrika nach ihren Wurzeln suchen.
- Das online-Magazin Babanews, ein Online-Magazin für Schweizerinnen und Schweizer mit Wurzeln von überall.
Social Media
Instagram-Check machen: Welchen Profilen von PoC folge ich? Wie divers ist mein Feed? Wir empfehlen die Profile von Anja Glover, Josephine Apraku, die Fragen zur rassismuskritischen Selbstreflexion stellt, Verbündete_r sein oder den Online-Shop Tebalou, der sich für Vielfalt im Spielzimmer einsetzt.
Schauen
- Die Schweiz hatte mit Sklaverei nichts zu tun? Wieviel Wohlstand der Schweiz auf Ausbeutung und Handel von Sklaven basiert, zeigt «Der lange Schatten der Sklaverei» von SRF eindrücklich auf.
- Wer die Zustände in den USA besser nachvollziehen will: «13th» (auf Netflix) hat uns die Augen geöffnet.
- 25 Jahre alt und doch brandaktuell: «La Haine» erzählt vom Leben in den Pariser Banlieues, Polizeigewalt und sozialen Unruhen. Der wohl eindrücklichste Film meiner Jugendzeit (Eva).
Hören
- Interview über strukturellen Rassismus in der Schweiz mit der Sozialanthropologin Serena Dankwa bei SRF, wo unter anderem auf die Problematik der Unterrepräsentation von PoC hingewiesen wird.
- Was tun gegen rassistischen Äusserungen? Interview mit Argumentationstrainerin Turid Fronek auf ARD mit Tipps für online- und Alltagsrassismus.
- Das Hörbuch «Exit Racism» von Tupoka Ogette, verfügbar auf Spotify, macht uns die Reflexe bewusst, die beim Thema Rassismus bei allen von uns aktiviert werden, angefangen mit der Abwehr und dem Sich-angegriffen-fühlen. Und es zeigt eindrücklich: «Rassismus ist nicht die Ausnahme. Rassismus ist die Norm.»
- Die Podcast-Episode von «Kafi am Freitag» zum Thema Pippi Langstrumpf und Kolonialismus.
«Rassismus ist die Norm und nicht die Ausnahme.»
Im Alltag
- Nachdenken über institutionalisierten Rassismus und weisse Privilegien und wo möglich entsprechend handeln. Kleines Beispiel: In einem Suchinserat für eine Wohnung oder ein Haus darauf verzichten, sich als «Schweizerfamilie» zu betiteln (letzte Woche gerade im Anzeiger der Stadt Bern entdeckt). Funktioniert gut mit den oben erwähnten Fragen von Josephine Apraku.
- Geld spenden für Organisationen, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen, Amnesty International zum Beispiel, den Verein Diversum, gggfon (Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus), oder das oben erwähnte Babanews.
- Antworten bereitlegen, falls ich rassistischen Bemerkungen im Alltag begegne, z.B. «Ihre Aussage ist verletzend und diffamierend und stört mich.» Mehr dazu im Leitfaden «Was tun bei rassistischen Äusserungen?» des Kompetenzzentrums Integration der Stadt Bern.
Und sonst? Wir zitieren da gerne Joshua Amissha: «Wer Geld hat, soll spenden. Wer kein Geld hat, soll an Demos gehen. Und was übrigens auch nichts kostet: Die rassistischen Bemerkungen von Onkel Edgar an der Familienfeier konstruktiv aufdecken und hinterfragen. Dasselbe gilt für Heidi am Arbeitsplatz, die sich mit diskriminierender, aber salonfähiger Hassrede schmückt, währenddem sie sich ihren grusigen Wurst-Käse-Salat in den Mund schiebt.» Word.
Fehlt hier etwas? Und: Mit welchen Ansätzen führt ihr mit euren Kindern Gespräche rund um Rassismus?
Vielen Dank an unsere Leserinnen Bea und Simone für die Anregungen und Unterstützung bei der Erarbeitung dieses Beitrags.