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Entspannt Schlafen in Zeiten von Corona

In Teil 4 der Schlafkolumne erklärt Expertin Sibylle Lüpold, warum viele Kinder ausgerechnet jetzt erst später ins Bett wollen.
14 Apr 2020
Bild — Annie Spratt (Unsplash)

Sibylle Lüpold berät seit zehn Jahren Familien zum Thema Schlaf. In dieser Rubrik spricht sie in loser Folge typische Probleme und Irrtümer rund ums Thema Kinderschlaf an und  liefert Lösungsansätze, die sich in der Praxis bewährt haben. Teil 1 handelte von den nächtlichen Notlösungen, die viele Familien praktizieren, statt die Schlafsituation grundsätzlich zu überdenken. In Teil 2 gings um das Ende des Mittagsschlafs. Teil 3 hilft dabei, allein zwei Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu Bett zu bringen. Und heute gehts ums Schlafen in Ausnahmezeiten.

Es ist eine herausfordernde Zeit, die wir als Gesellschaft gerade durchmachen. Wir reagieren alle anders auf die Veränderungen des Alltags und die aktuellen Belastungen. Berufstätige Eltern, deren Kinder normalerweise ausser Haus betreut sind, sind nun besonders gefordert. Aber auch Eltern, die nach wie vor «funktionieren» müssen, sind auf die nächtliche Erholung angewiesen und können gerade jetzt weniger gut mit schwierigen Nächten umgehen.

Es kann nun leicht zu einem Teufelskreis kommen: Viele Eltern fühlen sich sowohl durch die intensivere oder sogar pausenlose Betreuung ihres Kindes, als auch durch die Sorge um Gesundheit und Existenz ausgelaugt. Andererseits übertragen sich Anspannung, Stress und Nervosität der Eltern oft auf das Kind. Kinder sind sehr sensibel und nehmen den kollektiven Notzustand sehr wohl wahr. Sie verstehen aber – besonders wenn sie klein sind – nicht oder nicht ganz, um was es geht. Diese unangenehme Anspannung führt beim Kind zu einem inneren Stresszustand, den es zu lösen versucht, indem es entweder mehr Zuwendung einfordert, emotional und «anstrengend» ist oder aber sich zurückzieht und oftmals nicht einschlafen kann.

Kinder sind sehr sensibel und nehmen den kollektiven Notzustand sehr wohl wahr. Sie verstehen aber – besonders wenn sie klein sind – nicht oder nicht ganz, um was es geht.

Wir haben Eltern gefragt, inwiefern ihre aktuelle Schlafsituation durch den «Corona-Notstand» belastet ist. Folgende Antworten haben wir bekommen:

  • Das Einschlafen dauert ewig
  • Mein Kind schreit beim Zubettgehen vermehrt
  • Unser Kind möchte abends immer bei uns Eltern sein
  • Die Nächte sind unruhiger
  • Ich bin am Ende mit den Nerven
  • Mein Kind schläft erst später als gewöhnlich ein
  • Es kommt abends nicht zur Ruhe / ist total aufgekratzt
  • Mein Kind möchte vermehrt kuscheln
  • Seit mein Sohn nicht mehr in die Kita geht, will er mittags nicht schlafen

Alle diese «Nebenerscheinungen» sind in einer Krisensituation zu erwarten. Leider gibt es keine einfachen Lösungen, denn eine Krise ist nun mal für alle Betroffenen eine belastende, oftmals länger andauernde Zeit – und vom Coronavirus sind wir eben alle betroffen, sowohl die Eltern als auch unsere Kinder.

Ich bin überzeugt, dass Eltern ihr Bestes geben, und zum Glück spüren die meisten sehr gut, was ihre Kinder und auch sie selbst gerade brauchen. Ich will hier keine pauschalen «Ratschläge» verteilen. Aber ich möchte versuchen, Zusammenhänge und Möglichkeiten aufzuzeigen, um die Situation zumindest ein bisschen zu entspannen.

Das Thema ist von grosser Wichtigkeit, denn es wurde aufgrund der gesellschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus bereits ein Anstieg an häuslicher Gewalt festgestellt. Belastete Menschen, die den ganzen Tag auf engem Raum zusammen verbringen müssen, die sich durch die Ausgangsperre eingeengt fühlen und die sich Sorgen um ihre berufliche Existenz machen, neigen zu Affektverhalten; von harmloseren Wutausbrüchen bis hin zu körperlicher Gewalt. Wenn Kinder, die neben Frauen zu den häufigsten Opfern zählen, ihre Eltern in dieser Notlage auch noch vom Schlafen abhalten, kann die Situation schnell mal eskalieren.

Das Kind spürt die «Gefahr» und verhält sich aus seiner Sicht goldrichtig: Es sucht in der Einschlafsituation und nachts vermehrt  Nähe, es möchte vermehrt kuscheln und tut sich schwer, loszulassen und einzuschlafen.

Kinder wollen ihre Eltern nicht ärgern, wenn sie jetzt nicht (mehr) alleine ein- oder durchschlafen können. Auch wenn Sie gerade jetzt von Ihrem Kind erwarten, dass es Ihnen abends und nachts eine Pause gönnt, halten Sie sich vor Augen, dass Ihr Kind sehr brav seinen Auftrag erfüllt. Und dieser Auftrag, den es mit ins Leben gebracht hat, lautet: «Solange Du klein, hilflos und verletzlich bist, stelle sicher, dass Du Dich in der Nähe einer schützenden Bindungsperson befindest. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn Du krank oder müde bist, wenn es dunkel wird oder wenn eine Gefahr droht.» Genauso empfindet Ihr Kind die aktuelle Situation vielleicht. Es spürt die «Gefahr» und verhält sich aus seiner Sicht goldrichtig: Es sucht in der Einschlafsituation und nachts vermehrt Ihre Nähe oder die Ihres Partners/Ihrer Partnerin, es möchte vermehrt mit Ihnen kuscheln und tut sich schwer, loszulassen und einzuschlafen («Bin ich nach wie vor sicher, wenn ich eingeschlafen bin oder passiert dann vielleicht etwas?»). Das heißt umgekehrt: Das Beste, was Sie tun können, damit Ihr Kind und folglich auch Sie sich wieder entspannen könnt, ist, ihm – so gut es geht! – das zu geben, was es momentan braucht.

Wie Sie Ihre Situation entspannen können:

  • Ganz viel Sicher- & Geborgenheit vermitteln (bei kleinen Kindern am besten in Form von Körperkontakt), besonders beim Einschlafen und nächtlichen Aufwachen
  • Nicht zu früh zu Bett bringen! Da Ihr Kind heute nicht in der Kita oder in der Schule war, hat es sich weniger bewegt und weniger erlebt. Genau wie in den Ferien ist es vermutlich nicht so früh müde (evtl. hat es morgens auch länger geschlafen). Wenn Sie möchten, dass es auch jetzt früher zu Bett geht, müssen Sie es am Morgen früher wecken und den Tagesschlaf früher ansetzen.
  • Auch wenn es völlig in Ordnung ist, dass Dein Kind jetzt öfters mal einen Film oder ein Game konsumieren darf, vor dem Zubettgehen sollte es keinem grellen Licht/Blaulicht (PC, Handy, Tablet) mehr ausgesetzt sein! Dies verhindert die für den Schlaf wichtige Melatoninausschüttung.
  • Viel nach draussen gehen (wo das noch möglich ist), am besten in die Natur, wo es wenig Menschen und viel Platz für Bewegung hat. Das Tageslicht und die Natur wirken sich positiv auf unsere Psyche und unsere Schlafqualität aus.
  • Wenn Bewegung ausser Haus nicht möglich ist: Die Wohnung vorübergehend umstellen und Platz zum Herumturnen schaffen. Wenn Ihr Kind gerade eh nicht gut alleine schläft, richten Sie doch ein «Matratzenlager» ein, wo Sie nachts gemeinsam kuscheln und tagsüber Purzelbäume u.a. machen können. Die Matratzen schirmen auch den Lärm ab, sollten unter Ihnen empfindliche Nachbarn wohnen.
  • Rituale vermitteln in schwierigen Zeiten Sicherheit. Gerade jetzt ist es besonders wichtig, bereits etablierte Rituale beizubehalten oder bewusst neue einzubauen. Das könnte z.Bsp. ein Tagebuch sein, wo Sie jeden Abend gemeinsam einschreiben (oder zeichnen), wofür Sie alle dankbar sind. Dankbarkeit hat eine positive Wirkung auf unser Wohlbefinden und unseren Schlaf!
  • Zu sich schauen: Falls Sie die Nase voll haben von Kinderspielen und Märchenkassetten: Bewusst auch immer wieder Momente einbauen, in denen Sie auftanken können. Lieblingsmusik hören, dazu singen oder tanzen, Yoga oder Fitnessübungen machen (das Kind kann daneben mitmachen), eine Freundin anrufen oder sich einen kleinen Luxus gönnen.
  • Ehrlich und offen mit dem Kind über die Situation reden, damit es diese so gut es geht verstehen kann. Wenn wir etwas verstehen können, reduziert dies unsere Ängste. Permanent über den Coronavirus zu reden ist aber keine gute Idee. Vorsicht: Ständig Nachrichten hören/schauen! Das Kind kann durch die Flut an angstauslösenden Bildern und Botschaften überfordert sein.
  • Ihre Gefühle sollen Raum bekommen! Belastete Menschen können sich nicht permanent zusammenreissen. Vielleicht machen Sie täglich ein «Ventil» auf, wo jeder mal nach Lust und Laune fluchen und herumtoben darf. Wenn Sie zwischendurch die Kontrolle verlieren und, ohne es zu wollen, wütend oder genervt zu Ihrem Kind sind: Erklären Sie ihm den Grund für den Ausbruch! Dies ist für das Kind sehr entlastend, denn es versteht nicht, dass Sie wegen der Ausgangsperre oder Ihrer Arbeit angespannt sind – vielmehr bezieht es sonst Ihre negativen Äusserungen auf sich und fühlt sich vielleicht schuldig.
  • Prüfen Sie Ihre Gedanken! Fragen Sie sich: Sind die Ängste und Sorgen in meinem Kopf real? Bin ich ganz sicher, dass meine schlimmsten Vorstellungen eintreffen werden? Während ich mit meinem Kind hier und jetzt im frühlingshaften Wald spaziere oder gemütlich auf dem Sofa kuschle: Geht es uns im Moment gerade wirklich schlecht oder leide ich nur unter meinen Gedanken, die mir davon berichten, was vielleicht auf uns zukommt? Auch wenn es nicht einfach ist: Wie wunderbar, wenn es Ihnen gelingt, den gemeinsamen Moment zu geniessen! Vielleicht denken wir, sobald «die Zeiten von Corona» vorbei sind, auch etwas sehnsüchtig an diesen «terminfreien» Ausnahmezustand zurück.

Dieser Text erschien zuerst auf der Website www.1001kindernacht.ch.

Unser Interview mit Sibylle Lüpold, das zu unseren meistgelesenen Texten gehört und vom «Tages-Anzeiger» in gekürzter Form publiziert wurde, könnt ihr hier nachlesen: «Einem Baby bringt es nichts, wenn es früh durchschläft» Mehr Informationen und Beratungsadressen: www.1001kindernacht.ch