Sibylle Lüpold berät seit zehn Jahren Familien zum Thema Schlaf. In dieser Rubrik spricht sie in loser Folge typische Probleme und Irrtümer rund ums Thema Kinderschlaf an und liefert Lösungsansätze, die sich in der Praxis bewährt haben. Teil 1 handelte von den nächtlichen Notlösungen, die viele Familien praktizieren, statt die Schlafsituation grundsätzlich zu überdenken. In Teil 2 gings um das Ende des Mittagsschlafs. Teil 3 hilft dabei, allein zwei Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu Bett zu bringen. Und heute gehts ums Schlafen in Ausnahmezeiten.
Es ist eine herausfordernde Zeit, die wir als Gesellschaft gerade durchmachen. Wir reagieren alle anders auf die Veränderungen des Alltags und die aktuellen Belastungen. Berufstätige Eltern, deren Kinder normalerweise ausser Haus betreut sind, sind nun besonders gefordert. Aber auch Eltern, die nach wie vor «funktionieren» müssen, sind auf die nächtliche Erholung angewiesen und können gerade jetzt weniger gut mit schwierigen Nächten umgehen.
Es kann nun leicht zu einem Teufelskreis kommen: Viele Eltern fühlen sich sowohl durch die intensivere oder sogar pausenlose Betreuung ihres Kindes, als auch durch die Sorge um Gesundheit und Existenz ausgelaugt. Andererseits übertragen sich Anspannung, Stress und Nervosität der Eltern oft auf das Kind. Kinder sind sehr sensibel und nehmen den kollektiven Notzustand sehr wohl wahr. Sie verstehen aber – besonders wenn sie klein sind – nicht oder nicht ganz, um was es geht. Diese unangenehme Anspannung führt beim Kind zu einem inneren Stresszustand, den es zu lösen versucht, indem es entweder mehr Zuwendung einfordert, emotional und «anstrengend» ist oder aber sich zurückzieht und oftmals nicht einschlafen kann.
Kinder sind sehr sensibel und nehmen den kollektiven Notzustand sehr wohl wahr. Sie verstehen aber – besonders wenn sie klein sind – nicht oder nicht ganz, um was es geht.
Wir haben Eltern gefragt, inwiefern ihre aktuelle Schlafsituation durch den «Corona-Notstand» belastet ist. Folgende Antworten haben wir bekommen:
Alle diese «Nebenerscheinungen» sind in einer Krisensituation zu erwarten. Leider gibt es keine einfachen Lösungen, denn eine Krise ist nun mal für alle Betroffenen eine belastende, oftmals länger andauernde Zeit – und vom Coronavirus sind wir eben alle betroffen, sowohl die Eltern als auch unsere Kinder.
Ich bin überzeugt, dass Eltern ihr Bestes geben, und zum Glück spüren die meisten sehr gut, was ihre Kinder und auch sie selbst gerade brauchen. Ich will hier keine pauschalen «Ratschläge» verteilen. Aber ich möchte versuchen, Zusammenhänge und Möglichkeiten aufzuzeigen, um die Situation zumindest ein bisschen zu entspannen.
Das Thema ist von grosser Wichtigkeit, denn es wurde aufgrund der gesellschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus bereits ein Anstieg an häuslicher Gewalt festgestellt. Belastete Menschen, die den ganzen Tag auf engem Raum zusammen verbringen müssen, die sich durch die Ausgangsperre eingeengt fühlen und die sich Sorgen um ihre berufliche Existenz machen, neigen zu Affektverhalten; von harmloseren Wutausbrüchen bis hin zu körperlicher Gewalt. Wenn Kinder, die neben Frauen zu den häufigsten Opfern zählen, ihre Eltern in dieser Notlage auch noch vom Schlafen abhalten, kann die Situation schnell mal eskalieren.
Das Kind spürt die «Gefahr» und verhält sich aus seiner Sicht goldrichtig: Es sucht in der Einschlafsituation und nachts vermehrt Nähe, es möchte vermehrt kuscheln und tut sich schwer, loszulassen und einzuschlafen.
Kinder wollen ihre Eltern nicht ärgern, wenn sie jetzt nicht (mehr) alleine ein- oder durchschlafen können. Auch wenn Sie gerade jetzt von Ihrem Kind erwarten, dass es Ihnen abends und nachts eine Pause gönnt, halten Sie sich vor Augen, dass Ihr Kind sehr brav seinen Auftrag erfüllt. Und dieser Auftrag, den es mit ins Leben gebracht hat, lautet: «Solange Du klein, hilflos und verletzlich bist, stelle sicher, dass Du Dich in der Nähe einer schützenden Bindungsperson befindest. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn Du krank oder müde bist, wenn es dunkel wird oder wenn eine Gefahr droht.» Genauso empfindet Ihr Kind die aktuelle Situation vielleicht. Es spürt die «Gefahr» und verhält sich aus seiner Sicht goldrichtig: Es sucht in der Einschlafsituation und nachts vermehrt Ihre Nähe oder die Ihres Partners/Ihrer Partnerin, es möchte vermehrt mit Ihnen kuscheln und tut sich schwer, loszulassen und einzuschlafen («Bin ich nach wie vor sicher, wenn ich eingeschlafen bin oder passiert dann vielleicht etwas?»). Das heißt umgekehrt: Das Beste, was Sie tun können, damit Ihr Kind und folglich auch Sie sich wieder entspannen könnt, ist, ihm – so gut es geht! – das zu geben, was es momentan braucht.
Wie Sie Ihre Situation entspannen können:
Dieser Text erschien zuerst auf der Website www.1001kindernacht.ch.
Unser Interview mit Sibylle Lüpold, das zu unseren meistgelesenen Texten gehört und vom «Tages-Anzeiger» in gekürzter Form publiziert wurde, könnt ihr hier nachlesen: «Einem Baby bringt es nichts, wenn es früh durchschläft» Mehr Informationen und Beratungsadressen: www.1001kindernacht.ch