Das Leben mit zwei Kindern wird streng, sagten sie, die Freunde, die bereits zwei Kinder hatten. Ich habe immer mitfühlend genickt und insgeheim gedacht: «Bei mir wird das anders. Meine Kinder werden unkomplizierter sein. Ich werde das besser wegstecken.»
Dreizehn Monate später ist meine Tochter in dem Alter, in dem sie überall hochklettert und sich hochzieht. Dabei kennt sie keine Angst und kann Gefahren nicht einschätzen. Zu Hause sitze ich nie länger als zwei Minuten, weil immer jemand gerade sein Essen runterschmeisst oder noch einen Löffel braucht oder im Tripptrapp aufsteht.
Ich spüre meinen Rücken und die Reduktion meiner Nerven und Reserven.
Tatsächlich hab ich (Holz anfassen) zwei unkomplizierte und vor Gesundheit strotzende Kinder. Trotzdem sind gerade die ersten achtzehn Lebensmonate (wenig Schlaf, viel Tragen, wenig Autonomie des Kindes) körperlich und psychisch enorm anstrengend. Und dann ist da ja noch ein älteres Kind, das auch Bedürfnisse hat und ständig will, dass Mami zuhört, Mami zuschaut, Mami noch ein Gschichtli improvisiert. Und Mami lueg, ich kann auch rückwärts. Ich spüre meinen Rücken und die Reduktion meiner Nerven und Reserven.
Nein, das ist nicht so ein Blogeintrag, der mit schnippischem Sarkasmus das Leben mit Kindern in ein «Ist doch alles halb so wild!»-Licht rückt. Früher haben wir mit unseren Alkohol- und Shopping-Exzessen angegeben. Jetzt versuchen wir andere Mamas mit «im Wohnzimmer sieht es aus, als hätte ein Bombe eingeschlagen» zu übertrumpfen. Jetzt ist cool, wem bei der Teamsitzung am Montag Morgen zwei Nuggis, ein Quetschi und die mineralische Sonnencreme aus der Tasche purzeln. Zumindest wenn frau dann salopp-zynisch darüber berichtet.
Das Chaos und den Kontrollverlust, die mit mehreren Kindern unser Leben überrollen, mit Ironie zu nehmen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das Schutzschild der Ironie bedient immer noch das Tabu von: Familie ist das höchste Glück. Über die eigenen Kinder wird höchstens im Scherz gemeckert.
Ganz öffentlich redet kaum jemand darüber, wie physisch und psychisch belastend die erste Zeit mit zwei oder mehreren Kindern ist. Mamas brennen nicht nur aus, sondern die fehlende Belastbarkeit ist auch noch mit Scham behaftet. Wir fühlen uns immer noch schuldig, dass uns Kinder aufziehen nicht locker von der Hand geht.
Wir fühlen uns schuldig, dass das Kinder aufziehen uns nicht locker von der Hand geht.
Deshalb möchte ich hier ein für alle Mal, mit vollem Ernst und ohne einen Hauch von Sarkasmus die Hosen runterlassen: Das Leben mit zwei (und ich nehme an, auch mit mehr) Kindern ist verdammt streng. So streng, dass ich manchmal die letzten Meter auf dem Heimweg mit Tränen kämpfe (oder mir die Tränen runterlaufen), weil ich mir nicht vorstellen kann, wie ich Kinderwagen, Kinder und Einkäufe in den zweiten Stock rauftragen soll. Obwohl es Millionen von Frauen mit Kindern wahrscheinlich öfter genauso geht, fühle ich mich in solchen Momenten immer sehr allein.
Ich fand’s ja schon mit einem Kind nicht ohne. Und ich habe sehr viel Unterstützung. Ich schätze unsere Fremdbetreuung enorm, mein Mann und ich sind ein eingespieltes Team. Wie das Alleinerziehende schaffen oder Mütter mit anderen, zusätzlichen Herausforderungen, wage ich gar nicht zu denken. Denn obwohl sie knapp bemessen sind, habe ich auch immer wieder Freiräume – grosses Merci an die Grosseltern an dieser Stelle. Aber vier anstatt nur drei Bedürfnisse von Familienmitgliedern unter einen Hut zu bringen, ist eine andere Liga des Jonglierens und Koordinierens.
Wie das Alleinerziehende schaffen oder Mütter mit anderen, zusätzlichen Herausforderungen, wage ich gar nicht zu denken.
Oft ertappe ich mich bei dem Gedanken: «Aber es ist auf ein Leben gesehen nur eine kurze Zeit.» Das ist auch, was einem Eltern älterer Kinder und viele weichgezeichnete Instagram-Posts suggerieren: Geniess es, sie werden so schnell gross! Natürlich, die ersten drei Lebensmonate mit Abendkrisen und Verdauungstörungen sind kurz. Die ersten achtzehn Monate bis Kinder zweibeinig mobil und selbständig sind, gehen auch vorbei. Aber sag das mal einer Frau, die mitten drin steckt und seit Monaten nie eine Nacht durchgeschlafen hat.
Klar, der Mensch ist enorm anpassungsfähig. Im Grunde ist es auch befreiend, die eigenen Bedürfnisse weniger wichtig zu nehmen und die des kleinen Wesens in der Vordergrund zu rücken. Vielleicht ist es sogar unsere einzige Chance, Distanz zur ewigen Selbstoptimierung zu gewinnen. Aber die erste Zeit mit kleinen Kindern zehrt an der Substanz. Und was ist, wenn die ganz aufgebraucht ist?
Kinder haben, ist mindestens so streng, wie es schön ist. Und allzu oft denke ich: Wieso hat mir das niemand gesagt? Wieso war ich so unvorbereitet? Wieso reden die wenigsten darüber, wie ermüdend das Leben als junge Eltern ist? Erst recht wenn man vielleicht nicht mehr so jung ist, also keine zwanzig mehr.
Ich sehne mich nach einer Ent-Tabusierung. Nach Müttern und Vätern, die uns während der zweiten (oder dritten) Schwangerschaft bewusst machen: Es wird streng. Ohne uns Angst zu machen und die Erfahrung vorweg zu nehmen. Ich hätte gerne gewusst, was es heisst, für zwei quengelnde, hungrige Kinder ein Mittagessen innert Minuten auf den Tisch zaubern zu müssen. Ich hätte gerne vorher gewusst, dass ich mir manchmal vorkommen werde wie ein Tintenfisch, der trotzdem immer ein Tentakel zu wenig zu haben scheint. Ich hätte gerne mehr Informationen gehabt, anstatt nur: «Es wird streng mit zwei Kindern.» Ich sehne mich nach Solidarität, nach ehrlichem Austausch und nach Transparenz ohne Angst.
Ich sehne mich nach Solidarität, nach ehrlichem Austausch und nach Transparenz ohne Angst.
Früher waren Eltern weniger allein, so zumindest die romantisierende Vorstellung. Das ganze Dorf beteiligte sich an der Kindererziehung und -betreuung. Wir brauchen nicht weit zurückzugehen: Schon die Generation unserer Eltern war wirtschaftlich besser ausgestellt. Es war ein Leichtes, einen Job zu finden. Ein Eigenheim wurde für viele möglich. Niemand hob die Augenbrauen, wenn die Mama zu Hause bei den Kindern blieb. Aber viele applaudierten, wenn sie sich entschied, als Mutter berufstätig zu bleiben. Sicherlich zerbrach man sich auch weniger den Kopf über die richtige Erziehungsstrategien. Kinder möglichst früh zum Durchschlafen bringen, wurde nicht zum grossen Durchbruch erklärt. Es war ja nicht so zwingend, dass frau am Arbeitsplatz nach vierzehn Wochen wieder total leistungsfähig war.
Heute verspüren wir den Druck, ob nun von Innen oder von Aussen, auf beruflichen und privaten Schauplätzen Bestleistungen zu geben. Wir leben nicht mehr im Kollektiv und lernen nicht mehr direkt von unseren Müttern, Grosstanten und Cousinen die Kunst des Kinderkriegens und -aufziehens. Wir stürzen uns in die Fachliteratur und vereinsamen in unseren Stadtwohnungen. Der eigene Perfektionismus kommt uns ebenso dazwischen wie die Überinformation zu potenziellen Risiken, denen unsere Kinder ausgesetzt sein könnten. Als Folge davon entfernen wir uns in unserer Blase immer weiter von einfachen, pragmatischen Lösungen, die sowohl für uns selber wie für unsere Kinder am besten wären.
Ich frage mich, ginge das auch anders? Könnten wir uns nicht trotzdem die Hand reichen und Erfahrungswerte weitergeben? Könnten wir einander nicht ermutigen, einen Gang zurückzuschalten? Könnten wir uns gegenseitig zwischendurch daran erinnern, dass gut genug auch gut ist? Könnten wir nicht ohne zu Beschönigen zu einander sagen: «Es wird streng. Aber ich erzähle dir, wie’s uns ergangen ist. Und ich helfe dir, so gut ich kann.»
Wie ergeht es euch? Findet ihr euch in diesem Artikel wieder, oder überhaupt nicht? (Wenn nein, spricht euch dieses Interview vielleicht mehr an: «Die glückliche Mutter – das neue Tabu?») Wir freuen uns über eure Kommentare.