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Unser Leben in … Namibia

Ryan und Sarah Christinger leben auf einem Campingplatz mitten in der Wüste. Bei der Geburt ihres Sohnes war der Arzt per Telefon dabei.
12 Apr 2018
Bilder — Ryan und Sarah Christinger

«No Wifi, No Aircon, No Pool, No TV» – was für manche wie ein Horrorszenario klingt, ist der Werbeslogan des Camp Syncro von Sarah und Ryan aus Zürich. Seit vier Jahren führt das Paar den Campingplatz an der Grenze zwischen Namibia und Angola, fernab von Strassen, Städten und Stress. Uns haben die beiden per E-Mail berichtet, wie sie sich ihren Traum verwirklicht haben, wie das Leben in der Wüste ist – und wie ihr erster Sohn Dylan im vergangenen November zur Welt kam: fünf Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, weit weg von Ärzten und medizinischen Geräten.

Dies ist der vierte Teil unserer Serie, in der wir in loser Folge Schweizer Mütter und Väter porträtieren, die im Ausland wohnen (Teil 1: Unser Leben in… Paris, Teil 2: Unser Leben in… Bahrain. Teil 3: Unser Leben in Nashville)

Sarah und Ryan, welche drei Worte beschreiben Namibia für Euch am besten?
Weite, Abenteuer, Wüste

Was hat euch nach Namibia gebracht?
Auf unserem allerersten gemeinsamen Urlaub haben wir 2007 für zwei Tage im Camp Syncro Halt gemacht und uns in diesen Platz und die ganze Gegend verliebt. Spasseshalber haben wir uns damals gesagt, dass das doch ein schönes Plätzchen zum Leben wäre. Aber wir waren beide noch mitten in unserem Geographie-Studium an der Uni Zürich, schnell war dieser Traum also wieder vergessen. Ein paar Jahre später hatten wir beide unser Studium abgeschlossen und waren berufstätig. Als wir über sieben Ecken erfuhren, dass das Camp Syncro abgebrannt ist und zum Verkauf steht, haben wir diese Chance gepackt und uns ins Abenteuer gestürzt. Bis heute haben wir diesen Entscheid nie bereut.

Wie und wo lebt ihr jetzt?
Wir leben in Otjinhungwa im äussersten Nordwesten von Namibia direkt am Fluss Kunene, der die Grenze zu Angola bildet. Es ist eine der einsamsten Gegenden Namibias: auf einer Fläche von 3000 Quadratkilometern (ungefähr die Fläche der Kantone Zürich und Aargau zusammen) leben 400 Menschen. Die nächste Stadt (mit knapp 9000 Einwohner nicht gerade eine Metropole) ist knapp 300 Kilometer entfernt. Die Strassen sind allerdings so schlecht, dass wir für den Weg 8 oder mehr Stunden benötigen. Wenn in der Regenzeit die Flüsse hoch stehen, gibt es manchmal auch für mehrere Tage oder gar Wochen gar kein Durchkommen.
Hier am Ende der Welt führen wir das Camp Syncro, einen Campingplatz mit Wasser, heissen Duschen, Toiletten mit Wasserspülung und sauberen Plätzen – das klingt für Schweizer Verhältnisse zwar unspektakulär, ist aber hier in der Wüste nicht leicht zu finden.

Was fiel euch beim Wegzug am schwersten?
Ganz klar: Familie und Freunde zurückzulassen, vor allem, da wir nicht «mal schnell» zu Besuch gehen können. Auch skypen können wir nicht, da unser Internet via Satellit läuft. Wenn das Netz funktioniert, ist es ungefähr so schnell wie in der Schweiz vor 25 Jahren. Für viele unserer Verwanden und Freunde ist auch ein Besuch schlicht nicht machbar, da die Reise so lang und beschwerlich ist.

Was war organisatorisch die grösste Herausforderung beim Auswandern?
Die Arbeitsbewilligung zu erhalten, war nur dank eines Agenten möglich. Er fragte wöchentlich persönlich bei den zuständigen Ministerien nach, so klappte es dann. Die grösste Hürde vor Ort war dann definitiv die Sprache. In unserer Gegend spricht im Gegensatz zum restlichen Namibia eigentlich niemand Englisch, Deutsch oder Afrikaans; also blieb uns nichts anderes übrig, als die lokale Himba-Sprache zu lernen. Es ist mit grossem Abstand die komplizierteste Sprache, die wir je gelernt haben, aber mittlerweile können wir uns gut verständigen.

Was fehlte euch rein materiell?
Vor allem das Essen. Wir hätten nie gedacht, dass wir die Schweizer Küche so vermissen werden! Zum Glück wurden wir regelmässig von Gästen mit Schweizer Schokolade versorgt. Und was uns auch gefehlt hat, ist «richtiges» WC-Papier. Das Beste, was wir hier je gefunden haben, war Zweilagiges. So etwas weiss man echt zu schätzen, wenn man lange mit einlagigem Toilettenpapier leben musste!

Und was lief gut bei der Umstellung?
Wir haben uns schnell an das neue Klima und das neue Tempo angewöhnt, mit der vielen anfallenden Arbeit hatten wir auch keine grosse Wahl. Positiv überrascht hat uns, dass wir uns nie einsam gefühlt haben. Trotz unserer sehr abgeschiedenen Lage haben wir sehr viel Kontakt mit Menschen. In unserem Camp lernen wir Gäste aus der ganzen Welt kennen und geniessen spannende Gespräche. Auch von der lokalen Bevölkerung wurden wir sehr herzlich aufgenommen. Als einzige Weisse in der gesamten Gegend waren wir natürlich sehr schnell bekannt.

«Unser Leben hier ist ein ständiges Abenteuer.»

Wie verläuft euer Alltag?
Vor Sonnenaufgang stehen wir auf, machen Kaffee und geniessen die Ruhe. Dabei besprechen wir den Tag und verteilen die Arbeiten an unsere vier Angestellten. Anschliessend begrüssen wir unsere Gäste, bereiten die Plätze für die neuen Camper vor und kümmern uns um die Hühner, Hunde und Gärten. Wenn irgendwas repariert, kontrolliert oder gebaut werden muss, dann machen wir dies in den kühleren Morgenstunden. Zudem fallen viele administrative Arbeiten an: Reservationen, Buchhaltung und die Facebookseite geben immer zu tun. Und jederzeit kann etwas passieren: Gäste, die mitten in der Nacht ankommen, weil sie die Strecke unterschätzt haben; Einheimische, die ein (medizinisches) Problem haben; eine geborstene Wasserleitung oder eine Schlange im Camp. Unser Leben hier ist ein ständiges Abenteuer!

Wie erlebt ihr die namibische Kultur?
Die Kultur in Namibia ist sehr vielfältig – es gibt unzählige verschiedene Volksgruppen und entsprechend auch Kulturen. Wir konnten in unseren Jahren hier gute Einblicke in die Kulturen der weissen Afrikaaner, die weissen deutschstämmigen Namibier und der schwarzen Ovahimbas gewinnen. Gemeinsam ist ihnen ihre Offenheit und Freundlichkeit. Unsere Angestellten sind alle vom Stamm der Ovahimba, dadurch haben wir viel von deren Kultur mitbekommen und auch deren Sprache gelernt. Die Ovahimba sind eines der letzten (halb) nomadisch lebenden Völker. Fasziniert hat uns vor allem ihr traditionelles Aussehen und ihre Bekleidung. Auch wenn die Himba in die Stadt gehen, bleiben sie traditionell gekleidet. Leider ändert sich dies aber bei der jüngeren Generation, denn in den (christlichen) Schulen ist es nicht erlaubt, traditionelle Kleidung zu tragen.

Ihr seid im November Eltern des kleinen Dylan geworden. Wie habt ihr euch darauf vorbereitet?
Wir haben zwei Bücher gelesen, die uns Verwandte schickten, einen Geburtsvorbereitungkurs gab es in der Region keinen, haha! Für die Vorsorge haben uns Bekannte einen Arzt in der Hauptstadt Windhoek empfohlen, bei ihm fühlten wir uns sehr gut aufgehoben. Er hat immer Rücksicht auf unsere spezielle Situation genommen und stand uns während der Schwangerschaft auch immer per Whatsapp zur Verfügung. Wir fuhren also für alle vier Vorsorgeuntersuche in die Hauptstadt. Da eine Fahrt hin und zurück 40 Stunden dauert, waren die Termine gut geplant.

Und wie war die Geburt?
Wir haben uns aus Sicherheitsgründen entschlossen, ab Schwangerschaftswoche 35 temporär in die Nähe des Spitals nach Windhoek zu ziehen. Unser Auto war bereits gepackt, um das Camp Syncro am nächsten Morgen zu verlassen. Doch dann kam alles anders … Spät am Abend vor unserer Abreise setzten die ersten Wehen ein. Rasch war klar, dass es definitiv nicht mehr ins Spital reicht, das 24 Fahrstunden entfernt liegt. Wir haben unseren Arzt mit dem Satelliten-Telefon angerufen und er hat uns aus der Ferne instruiert, wie wir beide ganz alleine unseren Sohn auf die Welt bringen sollen.

Hattet ihr keine Angst?
Klar hatten wir Angst, aber wir sind erstaunlich ruhig geblieben, denn viel Zeit, um uns  Gedanken zu machen, hatten wir nicht: Von der allerersten ersten Wehe bis zur Geburt dauerte es nur dreieinhalb Stunden. Es gab in dieser kurzen Zeit so viel zu tun und wir mussten einiges improvisieren. Beispielsweise fanden wir nichts, um nach der Geburt die Nabelschnur abzubinden. Schlussendlich musste die Poulet-Schnur aus der Migros für diese Aufgabe herhalten.

Und alles lief problemlos?
Unsere grosse Befürchtung war, dass unser Baby nach der Geburt nicht atmen würde – wir wären völlig hilflos gewesen. Dylan hat aber sofort nach der Geburt zu schreien begonnen – das allerschönste Geräusch, das wir je gehört haben! Die 24-stündige Fahrt nach der Geburt war allerdings der Horror und kam uns endlos vor. Unser Arzt hatte gemeint, wir sollen mit unserem Frühchen so schnell wie irgendwie möglich in die Hauptstadt ins Spital. Wir waren beide völlig übermüdet und mussten (mit Baby im Arm!) über 1000 Kilometer fahren, davon die ersten 10 Stunden über sehr schlechte Strassen. Unser Arzt gestand später, er habe nicht damit gerechnet, dass unser Baby lebend zur Welt kommen oder mehr als ein paar Stunden alt werden würde. Dylan war unser frühes Weihnachtswunder!

«Unser Arzt gestand später, er habe nicht damit gerechnet, dass unser Baby lebend zur Welt kommen oder mehr als ein paar Stunden alt werden würde.»

Euer Alltag mit dem Baby sieht sicher auch etwas anders aus, erzählt mal!
Die wichtigsten Anschaffungen waren ein Babybett mit Moskitonetz und gute Tragehilfen. Wir leben hauptsächlich draussen, einzig in der Nacht gehen wir zum Schlafen ins Innere des Hauses. Tagsüber ist Dylan ist immer bei uns. Wenn wir im Büro (Laptop auf  einem Tisch unter einem Baum) sind, dann sitzt er in unserem Schoss oder schläft im Babybett hinter uns. Wenn wir zu Fuss unterwegs sind, tragen wir ihn mit uns herum. Da es hier Schlangen, Skorpione und Hühner gibt und wir keinen abschliessbaren Raum haben, können wir ihn schlicht nicht alleine lassen. Was wir nicht gekauft haben sind Nuggis, diesbezüglich halten wir es wie die Ovahimba mit ihren Bébés. Funktioniert bis jetzt wunderbar!

Ihr plant nun die Rückkehr in die Schweiz – was war der Auslöser?
Es gibt mehrere Gründe dafür. Einerseits läuft unsere Arbeitserlaubnis Ende August ab, und in Namibia wird es leider immer schwieriger, als Ausländer ein Visum zu erhalten oder verlängert zu bekommen. Hauptgrund ist allerdings die Abgeschiedenheit unseres Camps von der Gesundheitsversorgung. Seit der Geburt von Dylan hat sich einiges verändert in unserem Leben (Eltern wissen, was wir meinen). Die Geburtsgeschichte hat uns gezeigt, dass es nicht immer ganz einfach ist zu leben, wo wir leben. Als wir nur zu zweit waren, war dies nie ein grosses Problem. Aber jetzt sind wir für ein weiteres Leben verantwortlich, und damit ändert sich sehr viel.

«Das Baby ist immer bei uns. Da es hier Schlangen, Skorpione und Hühner gibt und wir keinen abschliessbaren Raum haben, können wir es schlicht nicht alleine lassen.»

Was habt ihr für Pläne für euer Leben zurück in der Schweiz?
Einen konkreten Plan für nach der Rückkehr haben wir noch nicht. Sarah wird zu Beginn zuhause bleiben und als Hausfrau und Mutter arbeiten. Ryan wird sehen, was sich ergibt. Wir haben in den vergangenen Jahren so viel Erfahrungen gesammelt, es spielt fast keine Rolle, in welchem Beruf wir arbeiten werden in der Schweiz.

Mit welchem Gefühl verlässt ihr Namibia?
Unser Paradies zu verlassen, fällt uns nicht leicht. Wir sind allerdings überzeugt, dass es die richtige Entscheidung ist. Wir haben unsere Zeit hier unglaublich genossen und wahnsinnig viel erlebt und gelernt. Nun ist es aber Zeit für ein neues Kapitel in unserem Leben. Darauf – und auf die freien Wochenenden – freuen wir uns!

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