Finanzielle Stabilität, geregelte Arbeitszeiten und vielleicht sogar Beiträge vom Arbeitgeber an die Kita – viele arbeitstätige Eltern gewichten solche Aspekte nach der Geburt eines Kindes hoch. Doch wie lebt es sich als Elternteil ohne diese Faktoren? Und was gewinnt die Familie durch die Selbständigkeit? Wir haben bei selbständig erwerbstätigen Müttern und Vätern nachgefragt. Als Bonus: Drei erprobte Tipps für Leute, die mit dem Einstieg in die Selbständigkeit liebäugeln.
Karin Hänzi Berger
«Für mich passen Kinder und Selbständigkeit perfekt zusammen. Das weiss ich spätestens seit jenen vier Monaten, in denen ich nach der Geburt unserer Tochter kurzzeitig wieder angestellt getextet habe. Die Vorteile überwiegen die alleinige Verantwortung und die fehlenden bezahlten Ferien bei weitem. So fällt zum Beispiel nicht gleich alles auseinander, wenn mal jemand krank wird oder schulfrei ist. An fixe Zeiten bin ich nur im Falle von Interviews, Sitzungen oder Ladendienst gebunden, was sehr viel Flexibilität mit sich bringt. Wenn wiederum die Arbeitsagenda nicht übervoll ist, kann ich auch mal spontan frei machen, quasi als Wiedergutmachung für die abendlichen Schreibarbeiten in wilden Auftragsphasen. Mir diese Freiheit zu nehmen, musste ich jedoch zuerst lernen. Am Anfang der Selbständigkeit machte sich bei Nicht-Auslastung häufig Panik breit. Heute fällt es mir viel leichter, die Situation so zu nehmen, wie sie gerade ist, und die ruhigen Phasen mit Überraschungs-Ausflügen und jeder Menge Extra-Büechlis auszukosten.
«Mir die vorhandene Freiheit auch zu nehmen, musste ich zuerst lernen»
Als grossen Vorteil der Selbständigkeit(en) empfinde ich zudem, dass unsere Kinder genau wissen, was wir arbeiten, weil sie als erprobte Stammgäste, künftige Mostprofis, Grafiknachwuchs oder Verfasser von imaginären E-Mails manchmal selbst Teil davon sind. Sie können sich etwas darunter vorstellen, wenn es heisst, Päpu/Mama sei bei der Arbeit. Ich wusste das bei meinem Vater als Kind nie so genau. Und: Sie erfreuen sich einem ebenso grossen wie grossartigen Netz an Bezugspersonen. Ganz gleich nämlich, wie gut und klar Planung, Organisation und Verantwortlichkeiten sind, funktionieren können zwei Selbständigkeiten unter einem Familiendach nur, wenn auch das Umfeld stimmt (zu dem in unserem Fall neben den Grosseltern auch Gotte, Götti, Lieblingsnachbarn und langjährige Apfelgold-Mitarbeiterinnen zählen – merci dafür, you know who you are).»
Karin Hänzi Berger arbeitet seit bald 15 Jahren als selbständige Texterin und ist seit November 2017 zudem Mitinhaberin von Clémentine. Dass mit dem Café Apfelgold auch ihr Mann sein eigener Chef ist, hilft im Alltag mit zwei Kindern (3- und 7-jährig) meistens sehr und manchmal überhaupt nicht. Bild: Lea Moser.
Sam Divers
«Ich schätze, dass ich im Beruf meine persönlichen Vorstellungen selber umsetzen kann und unsere Kunden ein grosses Vertrauen in unsere Arbeit entgegenbringen. Diese Freiheit ist ein Grundpfeiler meines Arbeitsverständnisses – damit hatte ich als Angestellter früher sehr zu kämpfen. Es motiviert mich, dass ich mit eigenen Ideen und Vorstellungen auch wirklich etwas erreichen und verändern kann. Diese Freude, ja zuweilen fast kindliche Spieltrieb überträgt sich auch ins Familienleben und hilft mir, unseren Kindern diese Werte auch weiterzugeben und vorzuleben. Es ist immer wieder ein Glücksgefühl und der schönste Lohn, wenn sowohl im Gesicht der Kinder (beim Spielen) wie auch im Gesicht des Kunden (nach einer Sitzung) ein zufriedenes Lächeln auftaucht.
«Die Freude an der Arbeit überträgt sich auch aufs Familienleben»
Die Arbeitsaufteilung zwischen mir und meiner Partnerin ist leider nicht so zeitgemäss-skandinavisch wie wir uns das erträumt hatten. Die Kinder-Betreuung versuchen wir so aufzuteilen, dass ich morgens und abends die Kinder betreue und so meine Partnerin etwas zu entlasten versuche. Das ist schön und bereichernd für mich, und gibt mir auch Gelegenheit, meine Aufgaben komplett zu vergessen. Die andere grosse Herausforderung ist sicher die Planung. Langfristig zu planen ist als Selbstständiger, zumindest in unserer Branche, ein Ding der Unmöglichkeit. Zugleich bin ich als Firmenpartner nun auch mitverantwortlich für ein stabiles und zugleich fachlich abwechslungsreiches Arbeitsumfeld für unsere Angestellten. Meinen eigenen und auch fremden Ansprüche an Verantwortung und Freiheiten gerecht zu werden, erlebe ich immer wieder als Balance-Akt.
«Unsere Arbeitsaufteilung ist nicht so gleichgestellt, wie wir uns das erhofft hatten.»
Die Elternschaft hat auch Einfluss auf meine Arbeit: Seit ich Vater bin, priorisiere ich viel höher was wirklich zählt im Leben. Zugleich stärkte es mein Verwantwortungsgefühl und meine Empathie innerhalb des Arbeitsumfelds, um Stimmungen ausloten und reagieren zu können. Und gleichzeitig bin ich in der Bearbeitung von Projekten realistischer und weniger idealistisch als in früheren Jahren, um unnötig lange Tage soweit möglich zu verhindern und dadurch Familie nicht nur im Bett anzutreffen.»
Sam Divers ist Mitinhaber und Mitglied von Heyday, einem Studio für visuelle Gestaltung, und Vater zweier Kinder (4 Jahre und 11 Monate). Bild: Privatarchiv
Selina Omlin
«Die Selbständigkeit ist für mich bezüglich den Kindern eigentlich vor allem ein Vorteil. Ich kann mir die Arbeitstage und auch die Zeiten selber einteilen, das gibt mir viel Flexibilität, beispielsweise bei einem Stundenplanwechsel. Auch kann ich an wichtigen Tagen (Geburtstag oder Einschulung etc.) einfach eine meiner lieben Angestellten um Ablösung bitten und teilnehmen. Auch Schulferien sind so wohl viel praktischer abzudecken als in einem Angestelltenverhältnis.
Problematisch ist aus meiner Sicht die Selbständigkeit, wenn es mal nicht nach Plan läuft. Als mein Sohn beispielsweise mit jährig in die Kita kam, war er sehr oft krank. Ständig so kurzfristig eine Aushilfe zu finden, war manchmal echt schwierig. Für diese Fälle sollte man sehr gut organisiert sein. Meine Eltern sind immer wieder eine grosse Hilfe, beispielsweise wenn ich an den Messen einkaufe. Seit ich Mutter bin, habe ich auch öfters das Gefühl, dass es an allen Enden und Ecken nicht reicht mit der Zeit auch wenn ich nur Montag, Donnerstag und jeden zweiten Samstag im Laden arbeite. Damit werde ich zwar nicht wirklich reich, verbringe aber viel Zeit mit meinen Kindern. Für Administratives, Einkäufe in der Schweiz und dem Ausland, dem Verteilen der Kollektionen auf die beiden Boutiquen, sowie all die kleinen Dinge, die ständig anfallen, kommt aber natürlich noch einiges an Aufwand dazu. Ich verschiebe also meine administrativen Arbeiten oft auf den Abend, dann bin ich aber meist zu müde dafür; gemacht muss natürlich trotzdem alles sein.
«Ich war nur für eine Woche in einem Angestelltenverhältnis.»
In schwierigen Zeiten wünsche ich mir manchmal eine Arbeit, die in dem Moment aufhört, in welchem ich den Arbeitsplatz verlasse und über die ich mir beim Einschlafen keine Gedanken machen muss. Dieser Gedanke verfliegt dann aber meist schnell wieder. Ich war nach meiner Berufslehre nur für eine Woche in einem Angestelltenverhältnis, daher weiss ich gar nicht wirklich, wie es ist, angestellt zu sein.»
Selina Omlin hat zwei Kinder (7 und 4). Seit 2003 führt sie die Modeboutique Onix am Ryffligässchen in Bern. Letzten Herbst hat sie sich kurzentschlossen entschieden, einen zweiten Standort an der Münstergasse zu eröffnen. Bild: murifeldbuch.ch
Elisa Malinverni
«Die Selbständigkeit erinnert mich oft ans Studium. Die Arbeit hört nach Feierabend nicht auf. Oft nutze ich eingeschoben zehn Minuten, während denen die Kinder sich selber beschäftigen, um schnell Emails zu beantworten oder per Whatsapp zu koordinieren. Andererseits gehe ich genau dem nach, was mich erfüllt. Als Selbständige damit auch noch Geld zu verdienen, scheint mir ein Privileg. Ich denke, das macht mich ausgeglichen und zufrieden. Ich bin überzeugt, dass Kinder das spüren.
«Ich gehe genau dem nach, was mich erfüllt. Als Selbständige damit auch noch Geld zu verdienen, scheint mir ein Privileg.»
Sicher, die Selbständigkeit hat den Vorteil, dass ich meine eigene Chefin bin und meine Arbeitstage selber wählen und einteilen kann. Als Yogalehrerin arbeite ich oft abends oder manchmal am Wochenende. Das geht natürlich mit der Kinderbetreuung gäbig, weil dann der Papi zu Hause ist. Mein Mann ist ganz klassisch angestellt und muss sich gezwungenermassen dem (nicht gerade fortschrittlichen) Betrieb (bspw. punkto Vaterschaftsurlaub) anpassen. Somit sind unsere Arbeitssituationen sehr ungleich. Obwohl ich die letzten drei Jahre als Teilhaberin und Geschäftsführerin eines Yogastudios mehr betriebliche Verantwortung hatte als er, spüre ich von ihm oft die Erwartung, dass ich mich flexibel zeige, weil es für mich möglich ist, meine Zeit selbst einzuteilen. Es ist vorgekommen, dass ich mehr zu Hause geblieben bin, wenn die Kinder krank waren. Aber wir haben als Paar auch gelernt, einen guten Dialog zu finden und die flexiblen Einsätze fair zu verteilen. Die Selbständigkeit ist für mich auch ein gutes Übungsfeld, um für mich einzustehen.»
Elisa Malinverni ist Yogalehrerin und Mutter von zwei Kindern (4 und 1). Von 2016 bis 2018 war sie Teilhaberin des Yogastudios Dayayoga in Bern, aktuell arbeitet sie auf selbständiger Basis im Studio Yogaluna in Bern und verbindet an ihren Workshops gerne Yoga mit ehrlicher Selbsterforschung. Bild: Thomas Herren
Eva Hefti
«Mich hat es in die Selbständigkeit gezogen, als unser erster Sohn 8 Monate alt war. Das war nicht so geplant, die Idee zum Café Fleuri ist zufällig entstanden und hat mich nicht mehr losgelassen. Die Aufbauphase war neben Kind und meinem 60%-Pensum im Angestelltenverhältnis eine extrem intensive Zeit. Wenn unser Bub im Bett war, begann für mich der zweite Arbeitstag. Für einen Arbeitgeber hätte ich ein solches Pensum niemals erledigen mögen! Das empfand ich als das Schönste an der selbständigen Tätigkeit: Wenn Du genau das tun kannst, was Du gerne machst, setzt Du unbekannte Kräfte frei. Machbar war das Ganze vor allem dank der Unterstützung durch meinen Mann und meine Schwiegermutter, sowie durch ein grossartiges Team im Betrieb, das mit viel Elan mitgezogen hat.
«Die Selbständigkeit verlieh mir unbekannte Kräfte, brannte mich aber auch aus.»
Trotz viel Freude und Unterstützung habe ich auch gelitten unter der Belastung. Ich war eine Quereinsteigerin, machte alles zum ersten Mal. Den Ansprüchen von Gästen, Mitarbeitenden, Verantwortlichen des Botanischen Gartens und mir selber zu genügen, war zwar eine spannende Herausforderung, laugte mich aber auch aus. Der Betrieb war von Mai bis Oktober täglich geöffnet, in dieser Zeit war ich mental immer dran. Da ich nicht so gut abschalten kann, habe ich auch oft während der Zeit mit meinem Sohn am Geschäft herumstudiert, das war sicherlich nicht ideal. Der Stress hat sich bei mir dann körperlich gezeigt, ich war regelmässig krank. Als ich wieder schwanger wurde, hatte ich glücklicherweise eine super Mitarbeiterin, die das Café mit viel Herzblut leitete und schliesslich den Betrieb übernahm. Die vier Saisons mit dem Café Fleuri haben mich so vieles gelehrt: mit Rückschlägen umzugehen, Menschen einzuschätzen, meine eigenen Grenzen zu respektieren, Kritik einzustecken, für meine Ziele einzustehen… Das alles möchte ich trotz den Schattenseiten nicht missen.»
Eva Hefti initiierte und führte das Café Fleuri im Botanischen Garten Bern von 2012 bis 2015. Sie hat 3 Kinder (8, 4 und 4). Bild: Mathias Lüthi
Kenne Deine Grenzen!
«Müsste ich jemanden auf dem Weg in die Selbständigkeit einen Tipp geben, wäre es wohl dieser: Lass der Sache Zeit, ganz gleich, ob mit oder ohne Kind(er). So oft ergibt sich aus dem einen das andere. Warum also nicht zuerst einmal Teilzeit freelancen und dann Schritt für Schritt ausweiten? Wichtig dünkt mich zudem, die eigenen Grenzen zu kennen und Mut zur Kompromisslosigkeit zu haben. In diesem Bereich hatten meine Kinder grossen Einfluss auf mein selbständiges Arbeiten. Wem nicht behagt, dass ich dienstags wegen Familientag nicht arbeite oder jede zweite Woche nach dem Montag erst am Donnerstag wieder im Büro bin, für den oder die bin ich nicht die richtige Texterin. Das gleiche gilt für den Wunsch nach regelmässiger Verfügbarkeit nach 17 Uhr. Da muss ich passen. Gelernt habe ich überdies: Stimmt das Bauchgefühl bei Auftragsanfrage oder beim ersten Treffen nicht, lohnt es sich nicht, den Auftrag anzunehmen. Die Nerven, die ich damit vergeuden würde, spare ich mir lieber für zuhause auf.» (Karin)
Kalkuliere das Unplanbare ein!
«Mein Tipp für Leute, die sich in die Selbständigkeit begeben möchten, ist, Unwägbarkeiten und Unplanbarkeiten zu akzeptieren und einzukalkulieren. Business-Pläne sind für Lehrgänge und teure Nachdiplomstudiengänge ideal als Anschauungsbeispiele, aber in der «realen» Welt zählt nebst Strategie vor allem Trial and Error. Wer nicht probiert und wieder probiert, der gewinnt keine Erfahrung und kann es in einem nächsten Anlauf nicht verbessern oder ändern. Das fehlte mir, bei allen positiven Aspekten, in der Ausbildung. Mit der Erfahrung als Eltern hat man da bezüglich Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Idealismus eine gute Basis zum Start in die Selbständigkeit.» (Sam)
Gehe Schnuppern!
«Mein Tipp für Leute, die sich diesen Schritt überlegen: geh mal in einem vergleichbaren Betrieb schnuppern – auch wenn es nur 1 oder 2 Tage sind. Sei die Erste da am Morgen und die Letzte am Abend, hilf vorbereiten, putzen oder den Umsatz zählen. Das gibt ein gutes Gespür für die Realität, die dich erwarten wird.» (Eva)