Nathalie Faller, weshalb sollen Kinder und Jugendliche überhaupt ins Yoga?
Yoga bestärkt die für Kinder wichtige Dimension der Bewegungsfreude. Anders als im Sport habe ich im Kinder-Yoga auch die Möglichkeit zu zeigen, dass nach der Bewegung ein Gegenpol – Stille und Ruhe – wohltuend sein kann. Ich beobachte dabei genau das, was man überall hört und liest: Erwachsene übertragen teilweise den eigenen Leistungsdruck auf ihre Kinder. Dort versuche ich entgegenzuhalten, das Körpergefühl und die Selbstwahrnehmung zu schulen. Die Kinder sollen sagen, was sie gerade brauchen.
Was machen die Kinder denn in einer Yogastunde? Auch Sonnengrüsse und Kindspositionen?
Wir wärmen uns spielerisch mit Bewegung auf, auch zu Musik. Erst danach setzen wir uns ruhig im Kreis hin. Meistens arbeite ich mit einem Leitbild, zum Beispiel «Fuchsfamilie im Wald». Wir besprechen zuerst, was es im Wald alles gibt, wie es da riecht, was man für Geräusche hört, welche Tiere da leben. Um die Figuren der Geschichte darzustellen, üben wir die Hasenstellung, die stille Eidechse, den verspielten Bären, das Bienensummen und die Holzfäller-Atmung, kurz: Wir nehmen Yogastellungen ein. Ich erzähle dann eine Geschichte, in der all die Tiere vorkommen. Die Kinder spielen sie nach und kommen so in den Flow. Ich bin immer wieder erstaunt, wie genau die Kinder sich an die einzelnen Stellungen erinnern. Wenn wir von dieser Reise zurück kommen, sind wir immer alle ganz müde – auch die, die nicht müde sind! (lacht) Also legen wir uns hin und ruhen aus. Ich erzähle die Geschichte nochmals, aber wie eine Traumsequenz, ganz ruhig und ohne dramatische Momente. Es ist mir wichtig, diesen Gegenpol der Ruhe zu setzen. Ganz zum Schluss räumen wir auf. Ich möchte Achtsamkeit vorleben.
«Wenn ein Kind, wie man so schön sagt, auffällig ist, hoffen die Eltern, Yoga mache das alles wett.»
Es geht also nicht nur um Bewegung?
Ich will auch eine innere Haltung mitgeben. Es soll sich nie ein Kind ausgeschlossen fühlen. Wir betonen das Miteinander und nicht das Gegeneinander. Yoga eben, auch für die Kleinen.
Kinderyoga hat im Grunde zwei Zielgruppen: Eltern und Kinder. Ist das ein Spagat?
Eltern, die selber Yoga machen, würden ihren Kindern gerne genau das mitgeben: eine innere Einstellung, die Fähigkeit, die eigene Energie gut einzuteilen und achtsam damit umzugehen. Es kommt vor, dass das Kind aber nicht gern ins Yoga kommt und sagt, es würde lieber wieder z.B. tanzen. Dann sage ich auch mal: «Wir reden nach der Stunde mit Mami und sagen ihr zusammen, dass du lieber nicht mehr kommen möchtest.» Natürlich bin ich auch mit hohen Erwartungen auf Elternseite konfrontiert. Wenn ein Kind, wie man so schön sagt, auffällig ist, hoffen die Eltern, Yoga mache das alles wett.
Was ist mit Kindern, die nicht gut stillsitzen können?
Grundsätzlich profitiert jedes Kind. Für jene, die nicht besonders gut stillsitzen können, ist es eine grosse Herausforderung, aber auch eine Chance. Solche Kinder werden von ihren Eltern gerne da hingeschickt, wo sie sich auspowern können. So finden aber diese Kinder gar nie aus dieser Frequenz heraus. Gerade für die, die unheimlich viel Energie haben, ist es wichtig zu lernen, wie man einen Gang zurückschalten kann.
«Gerade für die, die unheimlich viel Energie haben, ist es wichtig zu lernen, wie man einen Gang zurückschalten kann.»
Ist es nicht wahnsinnig anstrengend, Yoga für pubertierende Teenager zu unterrichten?
Jugendliche müssen sich irgendwo zwischen der Kinder- und der Erwachsenenwelt zurechtfinden. Sie erleben bereits, dass Ansprüche an sie gestellt werden, dass man Leistung von ihnen verlangt. Manche haben schon gelernt, gut mit ihren Ressourcen umzugehen. Andere haben damit eher Mühe. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass sie permanent erreichbar, online und am Chatten sind. Für solche Teens ist 75 Minuten lang nicht erreichbar sein bereits eine grosse Errungenschaft. Dazu kommt ein Körper, in dem grosse hormonelle Veränderungen vorgehen. Viele haben wenig Körpergefühl, spüren sich nicht. Auch hier versuche ich das über Asanas zu schulen, aber ohne grosse Kapriolen. Es geht mehr darum, in einer Stellung achtsam wahrzunehmen. Hormonelle Umstellung macht müde, deshalb versuche ich auch einen Rahmen zu setzen, in dem sie sich erholen und abschalten können.
Und wie sieht der Unterricht bei den 12- bis 17-Jährigen aus?
Mit Jugendlichen fange ich – eher wie bei Erwachsenen – in der Stille an. Wir sitzen und hören auf den Klang des Gongs. Ich mache viele Koordinationsspiele, die ihre volle Konzentration in Anspruch nehmen. Dann sind sie voll dabei. Das heisst aber auch, dass ich immer noch auf das Spiel oder Lernen übers Spiel aufbaue. Ich bin ausserdem ein grosser Fan von Sensorik und arbeite gerne über die Wahrnehmung von Düften, Klängen, Bildern.
Wo wird es bei dieser Altergruppe manchmal schwierig?
Es ist immer eine Frage der Gruppendynamik. Natürlich gibt es immer ein bis zwei Kids, die einfach chillen wollen und alles anstrengend finden. Es gibt die, die immer zuvorderst stehen und tausend Fragen stellen. Und dann gibt es die Unsichtbaren. Auf die muss man besonders achten. So gebe ich manchen einen kleinen Schubs, andere muss ich ein bisschen bremsen. Ausserdem funktionieren Partner- und Achtsamkeitsübungen bei Jugendlichen sehr gut. So gehen sie eher auf das Gegenüber ein.
«Natürlich gibt es immer ein bis zwei Kids, die einfach chillen wollen und alles anstrengend finden.»
Was beschäftigt die Jugendlichen?
Ich höre häufig von ihnen, dass sie gestresst sind und deshalb nicht entspannen können. Sie sind sich aber gar nicht genau im Klaren, was Stress für sie bedeutet. Das thematisiere ich dann gerne im Kreis sitzend: Was heisst Stress überhaupt? Wo spürt ihr ihn im Körper? Was macht er mit uns? Ist Stress immer negativ? Ich gebe gerne kleine Tricks mit für zu Hause, nicht im Sinne von Hausaufgaben, mehr etwas für ihre Schatzkiste an Yoga-Tricks, die sie ausprobieren können, wenn sie sich eben gestresst fühlen.
Was sind denn das für Tricks?
Wenn ein Kind Mühe hat einzuschlafen oder zu aufgedreht ist, legen wir ihm sein Stofftier oder Nuuscheli auf den Bauch: Wir sagen ihm, es soll ganz genau zuschauen, wie sich das Tierli oder Nuuschi mit der Atmung hebt und senkt. Ich gebe Kindern und Jugendlichen auch gerne die Holzfäller-Atmung mit: Wenn sie mal richtig wütend sind, sollen sie sich breitbeinig hinstellen und etwas in die Knie gehen. Mit den Händen halten sie eine unsichtbare Axt. Mit der Ausatmung lassen sie sie heruntersausen und untermalen das mit einem lauten «Ha!» Ideal zum Dampf ablassen!
Nathalie Faller ist diplomierte Ernährungsberaterin und ausgebildete Yogalehrerin für Erwachsene, Kinder und Jugendliche sowie passionierte Lindy-Hopperin im Wohnzimmer. Bei Dayayoga Bern unterrichtet sie Yoga für Kinder und Jugendliche am Mittwochnachmittag.
Elisa Malinverni ist Co-Leiterin von Dayayoga Bern.
dayayoga.ch/kids-yoga (für 6- bis 10-Jährige)
dayayoga.ch/teens-yoga (für 12- bis 17-Jährige)