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Was haben Kinder in Kunstausstellungen zu suchen?

Ganz viel! Kinder sollen mit in Galerien und Museen, sagt die Galeristin Dorothe Freiburghaus. Man dürfe ihnen durchaus etwas zumuten.
8 Jan 2018
Bilder — Sarah Pfäffli, Kunstkeller

Es geht los. Jemand knipst ein Licht an. Die Frau im Innern der transparenten Kunststoffskulptur wird sichtbar. Wir stehen nachts in der Berner Gerechtigkeitsgasse und wohnen einer Performance der Schweizer Künstlerin Victorine Müller bei. Einige der rund hundert Zuschauer frieren. Nicht ich. Meine Tochter steckt im Ergobaby und teilt ihre Körperwärme. Interessiert beobachtet sie das Geschehen vor dem Eingang zur Kellergalerie Da Mihi. Beziehungsweise das Nicht-Geschehen: Regungslos steht Müller in der amorphen Gestalt. Zehn Minuten. Zwanzig Minuten. Die Tochter schaut gebannt zu – ohne die übliche Forderung, wenn sie in der Trage steckt: «Abä!» («Runter!»)

Später mischen wir uns unters Vernissagenpublikum im Galerieraum. Ich manövriere mein erweitertes Ich neben Bronzeskulpturen und Videoinstallationen vorbei und schnappe mir am Buffet ein Stück Brot für die Tochter. Sie isst und staunt weiter – und funktioniert als Eisbrecher für kurzweilige Gespräche. Zum Beispiel mit Dorothe Freiburghaus. Ehe letzten September Da Mihi einzog, betrieb sie während 47 Jahren an diesem Ort den Kunstkeller Bern. Sie war es auch, die das Berner Galerienwochenende im Jahr 1987 initiiert hat, das am 13./14. Januar 2018 wieder stattfindet. «Es ist schön, Kinder in Ausstellungen zu sehen. Sie sollten Teil des Kunstbetriebs sein», sagt sie.

«Kinder sollten Teil des Kunstbetriebs sein.»

Ihre eigene Tochter war stets anwesend in der Galerie. Eine Archivfotografie von 1979 zeigt das damals zweijährige Mädchen, wie es in Pluderhosen durch die Kellergalerie springt und einen Staubwedel schwingt. Regelmässig hat Freiburghaus für Schulklassen Führungen durch ihre Ausstellungen realisiert oder Künstlergespräche. Stets stand etwas Schokolade für die kleinen Kunstrezipienten bereit oder Malstifte für eigene Kunstwerke. «Ein Mädchen wollte ihre Zeichnungen gleich in der Galerie verkaufen. Ihre Preisvorstellungen musste ich etwas nach unten korrigieren», erinnert sich die 1944 geborene Kunsthistorikerin amüsiert.

Sie schätze die Atmosphäre, für die Kinder sorgen: «Ich erinnere mich an eine besonders steife Vernissage mit lauter mittelalterlichen und betagten Gästen. Auf einmal trat jemand mit drei Kindern herein – und die Stimmung hat sich sogleich gelockert.» Ob Freiburghaus den Eindruck hat, dass sich an der Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder an Kunstevents mitzunehmen, in den vergangenen 50 Jahren etwas verändert hat? «Nein, Kinder waren immer dabei. Man kann ihnen durchaus etwas zumuten und darf sie nie unterschätzen.» So habe einmal ein kleiner Junge in einer Ausstellung unter vielen ein Bild wiedererkannt, das er in einer früheren Präsentation schon einmal gesehen habe.

«Kinder waren immer dabei. Man darf sie nie unterschätzen.»

Das Vermittlungsangebot für Kinder wächst in den unterschiedlichsten Kunstinstitutionen stetig. Durch das 2005 eröffnete Kindermuseum Creaviva habe Bern zusätzlich einen tollen Ort erhalten, an dem Kinder mit Kunst konfrontiert werden und sich selber kreativ engagieren können, so Freiburghaus. Diese haptische Komponente erscheint ihr äusserst wichtig: «Das ist auch der Vorteil von Galerien gegenüber Museen: Man kann Kunstwerke durchaus anfassen.» So werde die Fantasie der Kinder angeregt. Das helfe ihnen später im Alltag – schliesslich sei Kreativität nicht nur elementar für Kunstschaffende, sondern von der Blumensteckkunst bis zur Wissenschaft in jedem Bereich weiterführend.

Nicht alle bleiben beim Thema «Kind und Kunst» gleich cool. So manche Ausstellungsaufsicht beobachtet jeden Schritt von Familien mit Argusaugen. Andere vertrauen auf die Einschätzung der Eltern. Als meine Tochter unlängst im Kunstmuseum Chur lauthals protestierte, weil sie nicht mit einer ausgestellten, gecrahsten Modelleisenbahn spielen durfte, kam niemand herbeigerannt – und ich verlagerte den Museumsbesuch kurzerhand in den Garten. Probleme mit herumspringenden Kindern oder neugierigen Händchen hat Freiburghaus nie gehabt. «Keines der Werke ist je zu Schaden gekommen. Kinder sehen und spüren, wie wir uns in der Gegenwart von Kunst verhalten», ist sie überzeugt.

«Keines der Werke ist je zu Schaden gekommen. Kinder sehen und spüren, wie wir uns in der Gegenwart von Kunst verhalten.»

Sowohl als Mutter und mittlerweile Grossmutter als auch als Galeristin hat Freiburghaus wertvolle Tipps für kunstinteressierte Eltern bereit. Etwa in Bezug auf das anstehende Berner Galerienwochenende vom 13. und 14. Januar: «Die Erwachsenen müssen ihre Eigeninteressen etwas zurückschrauben. Lange Künstlergespräche langweiligen die Kinder. Und der Andrang und das grosse Angebot ermüden sie. Am besten, man pickt sich aus dem Programm zwei, drei Ausstellungen heraus, die man sich zusammen ansehen will.»

«Die Erwachsenen müssen ihre Eigeninteressen etwas zurückschrauben.»

Zum Schluss, let’s talk business: Es ist auch ein geschäftlicher Anreiz für Künstler, Veranstalter, Museen und Galeristen, in den Nachwuchs zu investieren. «Natürlich, Kinder sind künftige Kunden», scherzt Freiburghaus und lacht. «Nein, im Ernst: Das ist kein Grund, Kindern Kunst zu vermitteln. Aber der Junge, der einmal in einer Ausstellung ein Bild wiedererkannt hat, kaufte Jahre später tatsächlich sein erstes Werk in meiner Galerie.»

Berner Galerienwochenende: Sa 13. und So 14. Januar, jeweils 11 bis 17 Uhr. Programm: www.bernergalerien.ch

* Stefanie Christ ist Berner Kulturjournalistin und Autorin. Früher schüttelte sie über Kinderzeichnungen den Kopf. Heute würde sie für die Zeichnungen ihrer 1½-jährigen Tochter den Louvre freiräumen. Für die «Berner Zeitung» hat sie schon mal die Berner Museen auf ihre Kinderfreundlichkeit hin getestet.