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Was ist heute? Orientierungshilfen für Kinder

Manche Krise kann verhindert werden, wenn sich Kinder besser orientieren können. Wochenpläne entpuppen sich dabei als wahres Wundermittel.
12 Apr 2022
Bilder — Unsplash (1), Leserinnen-Bilder

Die Fotos der in diesem Artikel abgebildeten Wochenpläne stammen von einigen unserer kreativen Leserinnen. Herzlichen Dank an Nora, Romi, Mia und Silke für die Einsendungen und die Möglichkeit, eine Vielfalt von Beispielen zu zeigen!

Hätten wir das nur vorher gewusst! Lange Zeit war es für uns unvorstellbar, dass die Kinder von ihrem Papa in den Schlaf begleitet werden. Als ich wieder zurück in meine wöchentliche Yogastunde wollte, musste eine Lösung her. Die überraschend einfache Lösung fanden wir in Form eines simplen Wochenplans: Wir malten auf unsere Wandtafel in der Küche sieben Spalten und zwei Zeilen. Die Wochentage auf der oberen Zeile, darunter ein Mond, wenn ich die Kinder in den Schlaf begleitete, ein Stern, wenn dies mein Partner tat.

Wenn das Bedürfnis nach Orientierung bei einem Kind erfüllt ist, kann ein Gefühl der Sicherheit einkehren.

Natürlich sprachen wir auch mit unseren Kindern über die bevorstehende Neuerung der Abendroutine. Aber was sich durch den Plan bei den Kindern veränderte, hätte ich nie erwartet. Sie liebten es, jeden Morgen den aktuellen Tag zu markieren und so das Voranschreiten der Woche zu beobachten. Die Verabschiedung an meinen Yoga-Abenden fiel immer noch ab und zu schwer, aber es herrschte (insbesondere bei uns, aber vermehrt auch bei den Kindern) absolute Klarheit darüber – die Kinder waren vorbereitet und wussten, was auf sie zukam. Und so merkten wir bald, dass die Kinder bereit waren, an mehreren Abenden pro Woche vom Papa in den Schlaf begleitet zu werden – und dies auch, wenn ich zu Hause blieb. Welch’ ein Wunderwerk, so ein Wochenplan!

Wochenplan für Kinder

Warum kann ein solch einfaches Instrument so viel bewirken? Das hat ganz viel mit Bedürfnissen zu tun. In diesem Fall: nach Orientierung – und nach Autonomie.

Bedürfnis nach Orientierung in der Gewaltfreien Kommunikation

Wie uns geht es offenbar vielen Eltern – vielen ist das starke Bedürfnis ihrer Kinder nach Orientierung gar nicht bewusst und es fehlt dementsprechend an passenden Strategien. Wie erkennt man denn überhaupt, dass ein Kind mehr Orientierung braucht? Kathy Weber von Herzenssache (ihre Podcasts und ihr Instagram-Account rund um die Gewaltfreie Kommunikation sind wärmstens empfohlen) liefert Anhaltspunkte:
Stellt das Kind Fragen wie:

  • «Wer bringt mich heute in’s Bett?»
  • «Gehe ich heute in die Kita?»
  • «Wann kommen Grosspapa und Grossmama wieder?»
  • «Wann kommst du nach Hause?»
  • «Wie lange dauert es noch?»

dann können wir davon ausgehen, dass es von besserer Orientierung profitieren wird. Auch für Kinder, die Schwierigkeiten mit Übergängen haben, kann mehr Orientierung eine grosse Stütze sein. Wenn wir dem Kind Entscheidungsfreiheit geben und ein Wutausbruch folgt oder das Kind gefühlt zu allem «nein» sagt, kann ebenfalls ein unerfülltes Bedürfnis nach Orientierung dahinterstecken.

Selbst genähter Wochenplan

Die Erkenntnis, dass unsere Kinder kooperationsbereiter sind, wenn sie mehr Orientierung erfahren, ergab sich aus meinem Wunsch nach einer Veränderung der Abendroutine. Das Bedürfnis unserer Kinder nach Orientierung wurde uns somit erst nach Erfüllung dessen so richtig bewusst – ausprobieren lohnt sich also.

Orientierung vs. Autonomie

Nebst dem Bedürfnis nach Orientierung empfiehlt es sich, gleichzeitig auch das Bedürfnis nach Autonomie in den Blick zu nehmen – denn diese beiden eher gegensätzlichen Bedürfnisse wollen oftmals beide befriedigt und in ein Gleichgewicht gebracht werden. Wenn wir dem Kind lediglich Orientierung geben, ohne Raum für Autonomie zu lassen, wird es vermutlich sehr wütend werden. Geben wir hingegen nur Autonomie ohne Orientierung, wird unser Kind überfordert sein und ebenfalls mit Verhaltensauffälligkeiten darauf reagieren.

«Je kleiner das Kind, desto mehr Orientierung braucht es, und desto weniger Autonomie. Je älter es wird, desto weniger Orientierung und desto mehr Autonomie braucht es.»

«Eltern entscheiden, was gemacht wird, und das wie können die Kinder altersentsprechend mitgestalten» – dieser Leitsatz von Kathy Weber dient als Richtschnur. Nach ihr gilt die Faustregel: «Je kleiner das Kind, desto mehr Orientierung braucht es, und desto weniger Autonomie. Je älter es wird, desto weniger Orientierung und desto mehr Autonomie braucht es.» Das Ziel ist es, dem Kind so viele Informationen wie nötig zu geben, die es braucht um Bescheid zu wissen und dennoch so wenige wie möglich: dem Kind also Orientierung geben, ohne es mit zu vielen Informationen zu überfordern.

Tipps für einfache Orientierungshilfen im Alltag

Es gilt also einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Autonomiebedürfnis und dem Bedürfnis nach Orientierung. Ist das Bedürfnis nach Orientierung erst mal erfüllt, sind Kinder oftmals kooperationsbereiter. Genau das zeigte sich auch in unserem Familienalltag. Nach kurzer Zeit entdeckten wir, welch’ unzählige Möglichkeiten sich hinter unserer Idee eines – anfangs sehr einfachen – Wochenplanes verbargen. So fügten wir eine mittlere Zeile ein, in welcher der Spielgruppen-Morgen des älteren Kindes sowie das Hüten der Grossmama eingetragen wurde. Da mein Partner unregelmässig an den Wochenenden arbeitet, markierten wir auch unseren fixen Familientag unter der Woche und liessen die Kinder via Wochenplan jeweils wissen, ob der Papa am Wochenende arbeitet oder ob Familienzeit ansteht.

Was soll im Plan abgebildet werden?

Überlegt zunächst, welche Art von Plan für euch sinnvoll ist. Soll es ein Wochen-, Tages-, oder ein Situationsplan werden? Worum soll es im Plan gehen, welche Situationen, Routinen, Übergänge, etc. sollen abgebildet werden? Wo könnte das Kind von mehr Orientierung profitieren?
Ein klassischer Wochenplan kann pro Tag aus zwei Spalten bestehen, wobei in einer Spalte festgehalten wird, welche Bezugsperson für das Kind zuständig ist (Papa, Mama, Kita, Hüeti, etc.) und in der anderen Spalte, was getan wird.

Ein Plan kann aber auch eine Abbildung eines Handlungsablaufs sein, wie bspw. das abendliche Pyjama anziehen, Zähneputzen, Gesicht waschen und vorlesen. Das kann ganz einfach mittels einem Kreis aus Karton mit den aufgemalten Symbolen für die jeweilige Tätigkeit umgesetzt werden. Das Kind kann dann mit einer Wäscheklammer von Tätigkeit zu Tätigkeit wandern, bis alles geschafft ist.
Mit einem Plan kann aber auch auf etwas hingefiebert werden, wie bspw. die Übernachtung bei den Grosseltern, die mittels täglichem Ausmalen oder Abkreuzen eines Kästchens immer näher rückt.

Einfacher Wochenplan mit Fotos für Kinder

Wenn ihr viele Inhalte auf einem Wochenplan abbilden möchtet, oder aber Kinder mit sehr unterschiedlichen Tagesabläufen habt (bspw. Schulkinder mit zusätzlichen, individuellen Nachmittagsaktivitäten), lohnt es sich, pro Kind einen eigenen Plan zu machen. Wichtig ist, die Pläne möglichst übersichtlich zu gestalten und nicht zu viel abbilden zu wollen. Als Faustregel gilt: je jünger das Kind ist, desto weniger detailverliebt, je älter das Kind ist, desto mehr Details können abgebildet werden.

Wie kann der Plan umgesetzt werden?

Wir haben bisher mit einer Wandtafel und Kreide, mit dickem Karton, dünnem Karton und Reissnägeli sowie mit Kork, Karton und Reissnägeli experimentiert. Denkbar sind aber auch magnetische Varianten oder Pläne mit Klett. Oder ihr arbeitet mit Fotos und fertigt ein Ritualbuch an. (Wie das umgesetzt und wozu es genutzt werden kann, könnt ihr hier nachlesen). Einen ersten Entwurf, oder auch einen spezifischen, nur einmalig eintreffenden Situationsplan, lässt sich natürlich auch ganz einfach mit Papier und Stift gestalten. Unser aktueller Wochenplan ist eine grosse Korktafel aus der Brocki, mit sieben Spalten und vier Zeilen. In der ersten Zeile sind die Wochentage notiert, die zweite Zeile bildet den Vormittag ab, die dritte den Nachmittag und die unterste Zeile zeigt, wer die Kinder in den Schlaf begleitet. Die Kinder halfen bei der Gestaltung des Wochenplans mit und durften sich die Symbole und Farben für die Dinge aussuchen, die wir im Wochenplan festhalten wollten. Die Symbole malten wir mittels Güetziförmli als Schablonen auf Karton auf, schnitten sie aus und bemalten sie in der gewählten Farbe.

Wie kann der Plan genutzt werden?

Ganz wichtig ist, dass der Plan auf Augenhöhe der Kinder angebracht wird. Geeignet ist ein Ort, wo viel Gemeinschaftsleben stattfindet. Wir bereiten den Wochenplan jeweils am Sonntag für die kommende Woche vor – das heisst wir stecken die Symbole für die gesamte Woche entsprechend unserem Programm mit Reissnägeli in den Wochenplan. Die Kinder übernehmen dann jeweils das Voranschreiten des «Tages-Reissnägeli», das zeigt, an welchem Tag (oder auch bei welchem Symbol) wir uns aktuell befinden. Natürlich kommen im Verlauf der Woche oftmals noch Veränderungen hinzu, aber die Eckpfeiler stehen fest. Ich finde es auch ganz schön, die Woche dann gleich mit den Kindern durchzugehen, zu schauen, ob sie sich noch etwas wünschen (bspw. ein (zusätzliches) Treffen mit FreundInnen). Kathy Weber empfiehlt, den Kindern bspw. eine gewisse Anzahl Medienzeit-Symbole (à bspw. 30 Minuten) zu geben, welche die Kinder dann selbst über die Woche verteilen können. So gebt ihr als Eltern vor, wie viel Medienzeit konsumiert wird und lässt die Kinder entscheiden, wann sie ihre Medienzeit nutzen möchten. Es lohnt sich, den Wochenplan in einem Moment vorzubereiten, wo man selbst entspannt ist, viel Raum und Zeit hat, um auftretende Gefühle der Frustration o.ä. des Kindes bereits hier auffangen und begleiten zu können.

Selbst gebastelter Wochenplan für Kinder

Was tun, wenn der Plan nicht (mehr) passt?

Unser Wochenplan wandelt sich ständig, darf wachsen und den Kindern genau das vermitteln, was für sie wichtig aber auch genügend greifbar und verständlich ist. Bei neu oder selten auftretenden Situationen (bspw. ein Elternteil ist für längere Zeit weg, die Betreuungssituation muss spontan geändert werden, etc.), kann es sein, dass das Kind gar nicht so genau weiss, was da auf es zukommt, weil es eben neu oder ungewohnt ist. Zur Orientierung für solche Situationen können kurzerhand ganz spezifische Pläne simpel mit Papier und Stift gemacht werden. Geht den Plan mit dem Kind bei Bedarf immer wieder durch. Die Wiederholung hilft dem Kind zu verstehen und schenkt Sicherheit.

Gibt’s sowas nicht auch zu kaufen?

Es gibt unzählige Möglichkeiten, mehr Orientierung in den Familienalltag zu bringen. Und natürlich gibt es dazu auch vorgefertigte Pläne, die nur noch ausgefüllt werden müssen. Ich empfehle aber eine eigene Umsetzung, da diese viel individueller gestaltet werden kann und die Kinder besser miteinbezogen und ihre Bedürfnisse besser wahrgenommen werden können. Das muss auch kein Bastelwunderwerk werden, und euren Plan muss ausser euch und euren Kindern niemand verstehen. Bezieht eure Kinder mit ein, lasst sie Farben und Symbole aussuchen, nehmt einfache Formen oder Schablonen.

Es muss kein Bastelwunderwerk werden, und niemand ausser euch und euren Kindern muss den Plan verstehen.

Orientierung schenkt Sicherheit

Wenn das Bedürfnis nach Orientierung bei einem Kind erfüllt ist, kann ein Gefühl der Sicherheit einkehren. Das Kind kann vertrauen, dass da jemand ist der/die Bescheid weiss, der/die weiss, was ansteht und was gut für das Kind ist – es ist in Sicherheit. Dabei erfüllen sich gleichzeitig auch weitere Bedürfnisse, wie bspw. die Bedürfnisse nach Geborgenheit, Struktur und Vertrauen.

Es läuft nicht immer alles nach Plan, das Leben ist bunt, Familienalltag sowieso. Meine Erfahrung ist jedoch, dass Kinder kooperationsbereiter sind und viel leichter mit Planänderungen umgehen können, wenn ihr Bedürfnis nach Orientierung grundsätzlich erfüllt ist und sie sich sicher fühlen. Sie wissen somit meist, was auf sie zukommt, wissen, dass sie ihren Eltern und deren Plänen vertrauen können und auch Unvorhergesehenes niemanden aus der Bahn zu werfen hat.

Schwimmkurs, Kindergarten und Logopädie: Übersichtlicher Wochenplan für die ganze Familie
Die Autorin

Die Ethnologin und Sprachwissenschaftlerin Nicole Bischof lebt mit ihrem Partner und den beiden gemeinsamen Töchtern (4,5 und 2,5) in der Stadt Bern. Nie hätte sie damit gerechnet, dass ein einfacher Wochenplan dazu führt, dass sie wieder regelmässig eine abendliche Yogastunde besuchen kann.