«Müsst ihr wirklich immer streiten!», «könnt ihr nicht mal eine Minute friedlich zusammen spielen!» – sagt ihr diese Sätze auch regelmässig? Bei mir gehörten sie lange zum Standardprogramm, so frustriert war ich darüber, dass meine Kinder anscheinend einfach nicht ein paar Stunden lang «normal» sein können. Irgendwo – bei Janet Lansbury vielleicht? – erlebte ich dann die Erleuchtung: Als Eltern sollte man erwarten, dass die Kinder streiten, es akzeptieren oder sogar begrüssen. Kinder lernen beim Geschwisterkonflikt fürs Leben. Oder wie Heather Shumaker in diesem Interview sagt: «Wir können Frieden nicht lernen, indem wir einfach nur darüber reden. Man muss ihn lernen, indem man Konflikte erlebt. Deshalb brauchen Kinder Übung. Wir können uns nicht einfach hinsetzen und sagen: ‹Jetzt lernen wir etwas über Frieden.›» Ich sage deshalb diese Sätze nicht mehr und versuche Streitigkeiten zumindest zu akzeptieren. Und die Kinder fühlen sich nicht zusätzlich schlecht dabei, weil die Eltern ihnen nicht ständig das Gefühl geben, mit ihnen stimme etwas nicht. (Sarah)
Warum sind ältere Geschwister grob zu den jüngeren? Gegenfrage: Warum sollten sie es nicht sein? «Das jüngere Kind hat das Leben des Älteren auseinandergerissen. Es ist logisch, dass das ältere Kind diese Person, die seine Welt erschüttert, kontrollieren und dominieren und seinen Frust an ihm loswerden will», sagt Erziehungsexpertin Janet Lansbury – was aber natürlich nicht bedeutet, dass wir die Kinder einfach sich selber überlassen sollen. Falls uns aber das Bauchgefühl sagt, dass das ältere Kind stark leidet und übermässig auf das Geschwister reagiert, lohnt es sich sicher, Hilfe zu suchen, beispielsweise bei der kantonalen Mütter- und Väterberatung (für Kinder bis 5 Jahre) oder der Erziehungsberatung. (Eva)
Die vorangehenden Tipps in Ehren, aber mal ehrlich: Irgendwie müssen wir ja trotzdem umgehen mit dem Geschwisterstreit. Nur wie? Der Trick ist, sich nicht in die Rolle des Schiedsrichters oder der Schiedsrichterin zu begeben oder drängen zu lassen. Mir ist es (im Idealfall) egal, wer «angefangen» hat, ich verhänge keinen Schuldspruch und schon gar keine Strafe. Ich unterbreche Gewalt, bringe wenn nötig ein Kind in Sicherheit (gerade bei Babys oberstes Gebot!) und versuche dann, im Sinne einer Sportreporterin lediglich zu wiederholen, kommentieren und artikulieren, was gerade abgeht. «Er hat dein Spielzeug genommen! Und das hat dich wütend gemacht! Und du sagst, das stimme nicht!» Meistens reicht das schon. Weil letztlich wollen wir Menschen ja einfach vor allem eines: gehört werden. (Sarah)
Die Einsicht ist eigentlich total logisch, aber mir hat sie trotzdem die Augen geöffnet. Seine Kinder fair zu behandeln, heisst eben nicht gleich, sondern je nach unterschiedlichem Bedürfnis. Für Bruder und Schwester heisst also nicht zwingend, dass beide aufs Gramm genau gleich viel Glacé bekommen. Sondern dass das eine Kind das Löffeli dafür selber wählen kann, während das andere unbedingt zuerst bedient werden will. Am Ende sind beide happy und haben das Gefühl, das sei jetzt fair für sie. (Florina)
In die gleiche Kategorie fällt dieser Tipp: Unterschiedlich alte Kinder haben unterschiedliche Pflichten – aber auch unterschiedliche Rechte. Wir erwarten von unserem älteren Kind mehr Verantwortungsbewusstsein. Aber es darf auch mal etwas mehr – länger Mario Kart spielen, später ins Bett. Dass das jüngere Kind das total «unfair!» findet, nehmen wir dafür in Kauf. Wichtig ist Transparenz. Kinder brauchen Sicherheit – und ein sicherer und adäquater Platz in der Familienstruktur bringt sofort Ruhe ins System. (Sarah)
«Jetzt erziehen wir doch unsere Kinder genau gleich und doch sind sie so unterschiedlich», mögen manche Eltern schon erstaunt festgestellt haben. Was es aber zu bedenken gibt (neben der Tatsache, dass alle Kinder mit ihrem eigenen Temperament zur Welt kommen), ist, dass Geschwister an unterschiedlicher Position zur Welt kommen, unterschiedliche Rollen im Familiensystem einnehmen, die Eltern an einem anderen Punkt in ihrer persönlichen Entwicklung oder der partnerschaftlichen Beziehung stehen und auch unterschiedlich auf das erwähnte Temperament unserer Kinder reagieren. Das ruhigere Kind steht mir vielleicht näher, weil ich selber eher ein ruhiges Naturell habe. Wir können also gar nicht die gleichen Eltern sein für unsere Kinder – nicht mal bei Zwillingen, meine ich aus eigener Erfahrung. Dieses Interview mit Gabor Maté ist sehenswert für alle, die diesem Thema nachgehen wollen. (Eva)
Eine Freundin hat mir mal erzählt, dass sie oft bewusst die Rolle des «Bad Cop» einnimmt, damit die Geschwister unter sich die «Good Cops» sein können. Sie nehme so mal einen Streit in Kauf, dafür hätten es die Kinder gut unter sich. Geht nicht immer, aber ich machs auch manchmal und freue mich dann, wenn sich meine drei untereinander im wörtlichen Sinn verbrüdern und verschwestern. (Florina)
Kürzlich las ich bei der Australierin Constance Hall diesen Satz über ihre Zwillinge, den ich gleich nachvollziehen konnte: «Sie sind füreinander die jeweilige Nummer eins und ich musste mich daran gewöhnen, dass ich als Mutter im Leben meiner Kinder erst an zweiter Stelle komme.» Gerade kürzlich wollte beispielsweise das eine Kind am Morgen zuerst vom Zwillingsbruder begrüsst werden, und erst dann von mir. Früher tat das manchmal ein bisschen weh, heute freue ich mich darüber, die beiden so eng verbunden zu sehen. (Eva)
Apropos verbunden: Geschwisterbeziehungen können ganz unterschiedlich eng sein. Wer selber eine eher distanziertere Beziehung zu den eigenen Geschwistern hat, mag überrascht sein, falls sich die eigenen Kids sehr nah sind – oder umgekehrt. Auch hier lohnt es sich, zuerst bei sich selber hinzuschauen und die eigenen Erlebnisse zu reflektieren, bevor wir bei unseren Kindern ein allfälliges «Problem» konstatieren. In diesem Artikel haben wir beschrieben, wir wir unserem eigenen inneren Kind helfen können. (Eva)
Eines eurer Kinder macht gerade viel Stunk? Es ist gerade ein neues Geschwister angekommen? Oder ihr möchtet die gerade gute Stimmung in eurer Familie erhalten und fördern? Dann ist die «Spezialzeit», wie wir sie nennen, das Mittel der Wahl. Jedes Kind erhält am besten täglich 5-10 Minuten alleine mit einem Elternteil, in dem wir machen, was das Kind wünscht, und die Grossen ihr iPhone natürlich weglegen. Wir zum Beispiel lesen mit dem grossen Kind etwas in «Gregs Tagebuch» oder spielen ein Spiel (Biberbande!). Manchmal machen wir sogar einen Abendspaziergang. Alles, wenn das Kleine schläft. Habe ich meiner besten Freundin in den gemeinsamen Ferien abgeschaut. Wundermittel Hilfsausdruck. (Hier schreibt auch Cup of Jo über die magische Wirkung der One-on-one-time). (Sarah)
Neugeborene sind für die grösseren Geschwister meist nicht gerade super spannend. Sie schlafen, weinen, trinken – repeat. Joanna Goddard von «Cup of Jo» schildert sehr anschaulich, wie sie versuchte, ihr kleines Baby (Anton) für ihr grösseres Kind (Toby) «lebendig» zu machen: «Ich kam in Tobys Zimmer und sagte: ‹Toby, Anton möchte wissen, ob er bei dir im Bett liegen darf.› Und Toby lächelte und sagte: ‹Ja, er darf.› Dann schaute ich Anton an und sagte: ‹Anton, Toby hat ja gesagt! Lass uns unter die Decke schlüpfen!› Ich versuche auch, Toby zu zeigen, wie sehr Anton ihn liebt und braucht. Wenn Anton weinte, sagte ich manchmal: ‹Du musst dir keine Sorgen machen, Anton, Toby ist ja da.› – Ist das nicht eine wunderschöne Art, ein Neugeborenes in die Familie aufzunehmen? Vier weitere super Tipps gegen Geschwisterrivalität gibt sie hier. (Sarah)
Ich selber tendiere dazu, viele Dinge ein bisschen zu ernst zu nehmen. Diesen Tipp schreibe ich mir also selber hinter die Ohren: Warum fordern wir Eltern die (etwas grösseren) Kinder nicht mal zu einer kleinen Challenge auf, wo sie zusammenarbeiten müssen, um zum Ziel zu gelangen? Das könnte beispielsweise so aussehen:
Da gibt es sicher noch viel mehr Ideen, welche die Kids für eine Weile alle Differenzen vergessen lassen … (Eva)
Zuerst eine Warnung: «Geschwister als Team» muss man lesen, bevor man sich für ein zweites Kind entscheidet. Ich hatte beim Lesen über weite Strecken ein schlechtes Gewissen, weil ich so vieles «falsch» gemacht hatte (die meisten Kinder können Nicola Schmidt zufolge frühestens mit drei Jahren ein Geschwister gut vertragen …). Aber wenn man es vorher liest, ist es sicher eine grossartige Vorbereitung. Sehr viele praktische Beispiele stecken in «Hilfe, meine Kinder streiten» (der englische Titel wäre treffender: «Siblings without rivalry») von Adele Faber und Elaine Mazlish. Sowieso ein fantastisches Elternbuch ist «Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen» von Philippa Perry. Und ja, wichtig: Gibts alle auch als Audiobücher. (Sarah)
Was hättet ihr gerne vorher gewusst über Geschwister?