Spätestens um den ersten Geburtstag meines Sohnes hatten sich die Reihen gelichtet. In meinem Umfeld gab es kaum noch Mütter, die ihre gleichaltrigen Babys, jetzt Kleinkinder, weiter stillten. Fast alle hatten sie mit mehr oder weniger grossen Anfangsschwierigkeiten gestillt, hatten durchgehalten für die Gesundheit oder aber es war alles von Beginn an gut gelaufen, schön und vor allem irgendwann sehr praktisch gewesen. Das Abstillen hatte sich dann ergeben, weil der Pulvermilch-Schoppen den Kleinen plötzlich besser schmeckte, oder weil die Mutter wiedermal unbeschwert Alkohol trinken oder durchschlafen wollte.
Der Anfang war schwierig gewesen. Ich hatte mit Stillhütchen gerungen und mit der unsäglichen Milchpumpe, hatte alle möglichen Stillpositionen ausprobiert und war erst nach einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr in Panik geraten, wenn mein Kleiner unterwegs Hunger hatte.
Das Ende jeder Stillbeziehung in meinem Umfeld liess mich meine eigene hinterfragen. Warum stillte ich eigentlich noch? Einerseits war der Anfang schwierig gewesen. Ich hatte mir das Stillen in den Kopf gesetzt, wohl aus medizinisch vernünftigen Gründen, hatte dafür gekämpft, mit Stillhütchen gerungen und mit der unsäglichen Milchpumpe, hatte alle möglichen Stillpositionen ausprobiert und war erst nach einer gefühlten Ewigkeit unterwegs nicht mehr in Panik geraten, wenn mein Kleiner Hunger hatte.
Warum also nach einem halben Jahr aufhören, wo doch gerade erst alles in Gang gekommen war? Und so praktisch: Nur ab und zu Schoppen auskochen, keine Thermosflaschen mitschleppen – der kleine Mann trank bald in der Kita und beim Vater Pulvermilch, ich war die Pumpe los, und wenn ich nach Hause kam, freute ich mich auf die paar entspannten Minuten mit friedlichem Bébéli auf dem Schoss. So war das erste Jahr ganz schnell um.
Je länger ich stillte, desto mehr erschien mir schleierhaft, wie ich meinen Sohn davon würde überzeugen können, damit aufzuhören.
Gleichzeitig war da immer so etwas wie Neid, wenn ich von einer weiteren Freundin hörte, dass sie entschieden hatte, nicht weiter zu stillen. Diese Entschlossenheit! Und wie gut es jeweils klappte! Natürlich machte auch ich mir Gedanken darüber, dass ich irgendwann würde abstillen müssen. Und wollen. Doch mir fehlte die Überzeugung, ich war unentschieden. Und je länger ich stillte, desto mehr erschien mir schleierhaft, wie ich meinen Sohn davon würde überzeugen können, damit aufzuhören.
Er verlangte mittlerweile vehement nach seinem «Trinken», war ein guter Esser geworden, wollte keinen Schoppen mehr und stillte nur dann, wenn er Nähe brauchte. Wir konnten Wehwehchen stillen, Wutanfälle mildern, in den Schlaf finden – unbezahlbar so oft. Das hatte mit Nahrungsaufnahme nicht mehr viel zu tun. Zwischen uns war eine langjährige Stillbeziehung gewachsen, und ich begann sie zu pflegen und die Nähe zu geniessen, wenn der Bub sein Spiel unterbrach, angelaufen kam und sich zu mir setzte. Die Nächte waren anstrengend, ja. Sie bestanden bis dahin niemals aus einem Stück, ich war oft müde und erschöpft. Doch waren das nicht alle, die ein Kleinkind zuhause hatten? Inzwischen liess ich mich von den erstaunten Nachfragen zu meiner langen Stillzeit nicht mehr verunsichern. Ich hatte alles gelesen, was ich übers Langzeitstillen finden konnte, hatte Mütter kennengelernt, die ihren Vierjährigen die Brust gaben, und spielte sogar mit dem Gedanken, meinen Sohn entscheiden zu lassen, wann bei uns damit Schluss sein würde. Ich beschloss, so lange zu stillen, bis einer von uns beiden das Bedürfnis hatte, daran etwas zu ändern.
Ich beschloss, so lange zu stillen, bis einer von uns beiden das Bedürfnis hatte, daran etwas zu ändern.
Und natürlich war ich dann diejenige, die nicht mehr wollte, plötzlich mit einer grossen Klarheit, für die ich dankbar war. Es war nicht die Lust auf Alkohol, ich machte mir keine Hoffnungen auf durchschlafene Nächte oder mehr Freiheit. Ich wollte einfach weiter gehen, den nächsten Entwicklungsschritt tun, zusammen mit meinem Sohn, und war mir nun sicher, dass er dazu bereit sein würde. Die Wochen des Abstillens wurden zu den erkenntnisreichsten meiner Mutterschaft. Ich musste eine (Still)beziehung beenden, mit allem was dazu gehört: Tränen, Wut, aber auch Erleichterung und Platz für Neues. Mein knapp Zweijähriger liess sich mit Milchersatz nicht abspeisen, er konnte nicht nur schreien, sondern auch sprechen, und mir half einzig und dafür umso besser das Bewusstsein, dass er meine Nähe brauchte und diese auch haben konnte – in anderer Form. In meiner Anwesenheit, vielen Umarmungen, unserer elterlichen Zuverlässigkeit. Er erlebte die ersten grossen Frustrationen seines Lebens, und gemeinsam gingen wir da durch.
Die Wochen des Abstillens wurden zu den erkenntnisreichsten meiner Mutterschaft.
Ich war stolz wie Oskar, als wir über den Berg waren. Nicht so sehr auf die für hiesige Verhältnisse längere Stillzeit, sondern auf die gemeisterten Herausforderungen und die Erkenntnisse, die diese mit sich gebracht hatte. Tatsächlich schliefen wir besser, ja, aber das wäre wohl sowieso irgendwann so gekommen. Ich hatte mehr Energie, das auch. Aber vor allem waren wir gewachsen, beide.
Und jetzt ist unser zweites Kind unterwegs. Eine neue Stillbeziehung beginnt. Ich habe keinen Plan, wie lange sie dauern soll.
Welche Erfahrungen habt ihr zum Stillen und Abstillen gemacht? Ähnliche – oder ganz andere?