Wie war nochmal die Aussage vom März 2020, dass Kinder sich kaum mit Covid anstecken können und die Viren auch nicht weiterverbreiten? Heute sieht die Situation komplett anders aus: Klassen und Kitas werden reihenweise quarantänebedingt geschlossen, und die 0- bis 19-jährigen sind zurzeit die am stärksten von Covid-Infektionen betroffene Altersgruppe. Von 1 bis 3 Prozent von Long-Covid betroffenen Kindern wird berichtet, aus Israel sogar von 11%. Corona betrifft unsere Kinder auf verschiedenen Ebenen ganz direkt, und mit ihnen ihre Betreuungspersonen.
Wie unterstützt nun die Politik unsere Bildungslandschaft und die Eltern in dieser Krise? An die Schulen ging ein Maskenmandat und die Mahnung, regelmässig die Klassenzimmer zu lüften. Der Kanton Bern hat darüber hinaus nicht nur die Reihentestungen in den Schulen abgesägt, nein, die Regierung rät den Schulen, die das freiwillig durchführen möchten, sogar explizit von Massentests ab (!). Von Luftfiltern und CO2-Messgeräten in den Klassenzimmern sind wir etwa gleich weit entfernt wie von der Hoffnung, dass die Pandemie demnächst beendet ist.
Stellen wir uns vor, die Nationalratspräsidentin würde persönlich einmal pro Woche eine Fraktion von Politiker*innen auf Covid testen. Undenkbar, oder?
Stellen wir uns vor, die Nationalratspräsidentin würde persönlich einmal pro Woche eine Fraktion von Politiker*innen auf Covid testen: Test-Kits austeilen, darauf achten, dass jede und jeder die Kochsalzlösung genug lange im Mund spült, die vollgespuckten Röhrli einsammeln und dann alle ans Händewaschen erinnern? Undenkbar, oder? Genau das leisten aber Lehrpersonen während der Reihentests in den Schulen. Wieder einmal sind es diese Leute, die Aufgaben delegiert erhalten, die eigentlich jemand anderes übernehmen müsste. Aber stimmt: Die Armee musste im November ja dringend den Umgang mit Minenwerfern üben.
Aufgrund der grassierenden Infektionen in Kitas und Schulen fallen Betreuungs- und Lehrpersonen reihenweise aus. Da müssen sich die Schulen und Kitas halt selber organisieren, aus irgendeinem Hut lässt sich sicher noch ein Ersatz zaubern, oder sonst werden die paar Überstunden ja kaum ins Gewicht fallen. Dass viele dieser Arbeitnehmenden selber Kinder haben, die es zu betreuen gilt, oder anderweitige Care-Arbeit verrichten, geht schlichtweg vergessen. Und wenn wirklich kein Ersatz da ist, müssen dann reihenweise Schulausflüge gestrichen oder Kinder mit minimaler Supervision einen Morgen lang alleine zeichnen oder lesen gelassen werden: Den Stress, der durch die Unvorhersehbarkeit, die ständigen Planänderungen und die wechselnde Betreuung im Schulalltag verursacht wird, tragen einmal mehr die Kinder, Eltern und Lehrpersonen.
Den Stress, der durch die Unvorhersehbarkeit, die ständigen Planänderungen und die wechselnde Betreuung im Schulalltag verursacht wird, tragen einmal mehr die Kinder, Eltern und Lehrpersonen.
Apropos Eltern: Zehntausende von Kindern in Quarantäne oder Isolation? Die Erziehungsberechtigten werden das schon auf die Reihe kriegen neben der Berufstätigkeit oder anderer (un- oder schlecht bezahlter) Care-Arbeit, die sie leisten. Sowieso sind Eltern seit dem Ende des Fernunterrichts im Mai 2020 als Zielgruppe der Behördenkommunikation gefühlt nicht mehr existent. Als Gratis-Lehrpersonen, wenn ihre Kinder mal wieder in Quarantäne sind und den Schulstoff zuhause aufarbeiten müssen, greifen die Behörden dann aber durchaus gerne auf uns Eltern zurück.
Und die Kinder selber? Von Tausenden von Jugendlichen, die psychisch enorm belastet sind, berichtet der aktualisierte Corona Report der Pro Juventute. Die Familien finden dann wohl schon selber irgendwie eine Psychologin, die ihr Kind unterstützen kann. Dass die Wartelisten der Kinder- und Jugendpsychologen aber ähnlich lang sind wie die Schlangen vor den Budget-Antigen-Schnelltest-Centern, davon spricht kaum jemand.
Dass die Wartelisten der Kinder- und Jugendpsychologen aber ähnlich lang sind wie die Schlangen vor den Budget-Antigen-Schnelltest-Centern, davon spricht kaum jemand.
Im Kanton Bern läuft alles ganz offensichtlich auf verfrühte Schulferien vor Weihnachten hinaus: So wird das Problem ganz einfach und gratis ins Private delegiert. Die Eltern werden sich dann schon irgendwie organisieren, und sonst sitzen die Kids derjenigen Arbeitnehmenden, welche sich nicht kurzfristig freischaufeln können, halt einfach noch etwas länger vor dem TV, who cares. Und im Januar wursteln wir dann einfach weiter.
Uns reichts! Hunderttausende Menschen in der Schweiz leiden direkt unter dem mangelhaften Pandemie-Management, dem Föderalismus-Hickhack und der nicht wahrgenommenen Verantwortung für den grossen, aber stillen Teil der Bevölkerung, der mit den Konsequenzen dieser Missstände tagtäglich leben muss. Währenddem für KMU Corona-Kredite gesprochen, für den Sport a-fonds-perdu-Beiträge ausbezahlt und für die Swiss innert kürzester Zeit unter Hochdruck Milliardenpakete und Kreditprogramme aus dem Boden gestampft werden, sollen es Familien und Betreuungseinrichtungen auch in Welle Nr. 5 bitte selber richten. Dabei vernachlässigen Bund und Kantone auch ihren verfassungsmässigen Auftrag: «Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung», heisst es in Artikel 11 der Bundesverfassung. Es rächt sich hier einmal mehr, haben Kinder, Jugendlichen und Care-Arbeiterinnen im Bundeshaus ganz offensichtlich keine Lobby.
Wenn wir all die Versäumnisse, für die wir nichts können, einfach weiterhin brav ausbaden, wird nie etwas geschehen.
Wenn ihr – wie wir – auch richtig hässig seid, werdet laut! Wenn wir all die Versäumnisse, für die wir nichts können, einfach weiterhin brav ausbaden, wird nie etwas geschehen. Nehmen wir uns ein Vorbild an jenen Wirtschaftsbranchen, die es mit maximaler Penetranz und Lautstärke zu grosszügiger Unterstützung geschafft haben. Hier eine Liste mit Aktionen, die ergriffen werden können. Weitere Ideen gerne als Kommentar hinterlassen!