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Die Schlaf-Frage: Wie lernt unser Kind, selber einzuschlafen?

Einschlafbegleitung – wie lange noch? Schlafberaterin Sibylle Lüpold von 1001 Kindernacht beantwortet diese Leser*innenfrage.
6 Jul 2023
Bild — Annie Spratt (Unsplash)

Leser*innenfrage: Unser Kind ist jetzt 6 Jahre alt und kommt in die Schule. Wir finden, langsam wäre es an der Zeit, dass es auch lernt, selber einzuschlafen. Wir sitzen nach wie vor jeden Abend bei ihm am Bett und warten, bis es schläft. Wie können wir uns aus dieser Routine zurückziehen?

Antwort von Sibylle Lüpold:

«Viele Eltern wünschen sich früher oder später, ihr Kind abends nicht mehr in den Schlaf begleiten zu müssen. Nach einem langen Arbeitstag (oder auch einem lebhaften Tag mit dem Kind) wäre es schön, dem Kind nach dem Abendessen zu sagen „Putz die Zähne und dann ab ins Bett! Gute Nacht!“ und sich gemütlich ins Wohnzimmer zu setzen. Genau jetzt fordern viele Kinder aber erst recht noch mal die ganze Aufmerksamkeit der Eltern und möchten viel Zuwendung und Körperkontakt.

Müdigkeit und Dunkelheit verstärken das Bindungsverhalten – somit ist die Einschlafzeit in den ersten Lebensjahren kein Moment, in welchem Autonomie zu erwarten ist.

Ich persönlich erachte die Einschlafbegleitung in Bezug auf die Eltern-Kind-Beziehung als den wertvollsten Moment des Tages. Aus der Schlafforschung wissen wir, dass kurz vor dem Schlafen aufgenommene Informationen besonders gut abgespeichert werden. Dieser Effekt zeigt sich besonders bei emotionalen Inhalten und nachfolgendem REM-Schlaf (dem sogenannten Traumschlaf); der Schlaf wirkt in diesem Fall als eine Art Gefühlsverstärker.

Aus der Schlafforschung wissen wir, dass kurz vor dem Schlafen aufgenommene Informationen besonders gut abgespeichert werden.

In Bezug auf die Einschlafbegleitung macht es folglich einen entscheidenden Unterschied, ob das Kind mit der liebevollen Präsenz eines Elternteils in den Schlaf findet, oder alleine.  Im ersten Fall verankern sich bei ihm positive Gefühle der Sicher- und Geborgenheit. Ein Kind hingegen, das kurz vor dem Einschlafen wiederholt Angst und Einsamkeit erlebt, wird vermutlich gerade diese negativen Empfindungen abspeichern. Da die Einschlafbegleitung die Eltern-Kind-Bindung stärkt, würde ich als Mutter oder Vater lieber tagsüber vom Kind eine Stunde Selbständigkeit fordern als in der wertvollen Stunde vor dem Einschlafen.

Aber: Das heißt nicht, dass ein Kind ab dem dritten Geburtstag nicht auch lernen kann, zumindest ab und zu alleine einen Moment zu bewältigen und ein eigenes Einschlafritual zu entwickeln. Es geht aber auch beim grösseren Kind nicht darum, die abendliche Zuwendung ganz abzuschaffen und das Kind alleine ins Bett zu schicken. Vielmehr bleibt ein gemeinsames Einschlafritual solange fester Bestandteil des Tagesablaufes, bis das Kind von sich aus zeigt, dass es diesem Bedürfnis entwachsen ist. Bei vielen Kindern erfolgt dieser Schritt mit 8, 9 oder 10 Jahren, spätestens mit der Pubertät.

Die Frage, wie Eltern ein älteres Kind (ab 3 Jahren) am besten zu Bett bringen, lässt sich nicht pauschal beantworten, da alle Familienkonstellationen und -bedingungen ganz unterschiedlich sind.

Rituale wie Büchlein erzählen, gemeinsam singen, massieren oder herumtoben sind ein schöner und wichtiger Bestandteil für viele Familien. Sie vermitteln dem Kind Sicherheit und Orientierung. Die immer gleichbleibenden Abläufe und liebgewonnene Gewohnheiten führen bestenfalls dazu, dass sich das Kind gut entspannt und danach schnell einschläft. Auch wenn die Eltern sich beim Zu-Bett-Bringen abwechseln oder jemand anderes diese Rolle übernimmt, bleibt wenigstens das Ritual konstant. Wichtig ist nicht, was die Eltern anbieten, sondern wie sie es anbieten. Machen sie es gerne? Geniessen sie diesen letzten, innigen Moment mit ihrem Kind? Oder löst bereits der Gedanke daran Stress und Ungeduld aus? Das Kind spürt sehr gut, mit welcher Haltung es vor dem Einschlafen betreut wird und kann sich dementsprechend besser oder weniger gut entspannen.

Wichtig ist nicht, was die Eltern anbieten, sondern wie sie es anbieten. Machen sie es gerne? Oder löst bereits der Gedanke daran Stress und Ungeduld aus?

Eltern dürfen hier sehr wohl zwischen eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen des Kindes abwägen. Was hat heute Priorität? Hatten Mama oder Papa einen schweren Tag und brauchen einen Moment für sich? Hat das Kind eine schwierige Herausforderung zu bewältigen (Schulstart, Konflikte mit Kollegen oder Lehrern etc…) und braucht im Moment mehr Zuwendung, weil gerade vor dem Einschlafen die lästigen Gedanken kreisen?

Konsequente und starre Regeln werden den ständig wechselnden Bedürfnissen von Menschen nicht gerecht. Vielmehr lohnt es sich, flexibel zu sein und nötige Veränderungen zuzulassen (siehe auch Schlaffrage zum episch langen Abendritual).

In meinem Buch «Ich will bei euch schlafen!» (Neuauflage, 2019) beschreibe ich folgendes Vorgehen:

«Bei einem größeren Kind (ab ca. drei Jahren), dem die Eltern schon einiges erklären können, gibt es folgende Möglichkeiten, um es ans Einschlafen im eigenen Zimmer zu gewöhnen:

  • Die Eltern erklären ihrem Kind, dass es nun einen eigenen Schlafplatz bekommt. Am besten lassen sie es im Möbelgeschäft selbst ein Bett auswählen oder aber sie dekorieren das bereits existierende Bett neu. Das Kind sollte möglichst an der Veränderung mitbeteiligt sein und sich ihr nicht einfach ausgeliefert fühlen. So ist es gut möglich, dass es mit Freude auf das eigene Bett reagiert. Da die neue Schlafsituation vielleicht anfangs aber doch beängstigend ist, sollten Eltern ihrem Kind die Möglichkeit einräumen, jederzeit nach ihnen zu rufen oder ihr Zimmer aufsuchen zu dürfen. Sonst wird es das eigene Bett nicht als Bereicherung erleben.
  • Nach einem Einschlafritual verabschieden sich die Eltern von ihrem Kind mit folgenden Worten (die natürlich beliebig verändert werden können): «Ich komme gleich wieder zu dir zurück. Vorher werde ich mir aber noch rasch die Zähne putzen. Bleib du hier liegen und warte auf mich.» Da das Kind dies versteht und weiß, dass seine Eltern gleich wiederkommen, reagiert es nicht mit Trennungsangst. Nach ein paar Minuten kehren die Eltern zu ihm zurück, legen sich vielleicht auch kurz hin oder sagen einfach: «Schläfst du noch nicht? Ich werde jetzt noch …, dann komme ich wieder zu dir. Warte solange auf mich.» Ich habe diese Methode hin und wieder bei unserem ersten Sohn angewandt, wenn ich gerade nicht bei ihm liegen bleiben konnte. Er zog es natürlich vor, dass mein Mann oder ich uns zu ihm legten, bis er schlief. Aber es war ihm auch recht, ein paar Minuten zu warten. Dass er dabei regelmäßig und rasch einschlief, war natürlich Absicht; ihn schien dies aber nicht zu stören. Hier ist die Voraussetzung, dass das Kind einerseits müde ist und andererseits ein großes Vertrauen in seine Eltern hat. Wenn es daran zweifelt, ob sie wirklich zurückkommen – vielleicht, weil es oft enttäuscht wurde – wird es vermutlich trotzdem weinen.

Manche Eltern erachten es als sinnvoll, ihr Kind für das Alleine-Schlafen zu belohnen. Dieser Erziehungsmethode stehe ich kritisch gegenüber, da sie in meinen Augen dem Kind vermittelt: «Wenn du brav schläfst, nicht nach uns rufst oder unser Zimmer aufsuchst, bist du lieb und bekommst eine Belohnung.» Die Kehrseite dieser Botschaft bedeutet aber: «Wenn du nicht alleine schlafen kannst, bist du nicht lieb.» Das Kind lernt dadurch, dass das Mitteilen von Ängsten und Bedürfnissen schlecht ist und umgekehrt dessen Verdrängen die Liebe und den Stolz der Eltern zur Folge hat.»

Manche Eltern erachten es als sinnvoll, ihr Kind für das alleine Schlafen zu belohnen. Dieser Erziehungsmethode stehe ich kritisch gegenüber.

Bei grösseren Kindern können Eltern nach Ersatz für ihre Anwesenheit suchen, sofern kein wirkliches emotionales Manko besteht:

  • Kuscheltier
  • Hörspiel (ruhige Geschichte, entspannte Musik)
  • Zimmertür offenlassen, damit das Kind noch etwas Licht sieht und die Geräusche der Eltern hört
  • Leise singen (das Kind singt sich selbst in den Schlaf)
  • Selbst Bücher lesen und dann Licht löschen (kein Handy oder iPad! Das Blaulicht verhindert das Einschlafen)
  • Buchtipp: Der Zauberkäfer. Von Martin Sutoris. Das liebevolle Ein-schlafritual für Kinder (ab 3 Jahren)

Letztlich geht es immer darum, die Veränderung mit dem Kind zusammen zu planen und es in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen. Was sich bewährt, ist, zwei oder drei Möglichkeiten, die die Eltern alle gut finden, anzubieten, aber dann dem Kind die Wahl zu lassen. Dadurch, dass es auswählen darf (auch wenn die Wahl begrenzt ist) ist es viel kooperativer.

Kleinen Kindern kann es helfen, Veränderungsprozesse bildlich zu erfassen, weil sie noch kein so gutes Vorstellungsvermögen wie Erwachsene haben. Das heißt z.B., die Eltern gestalten mit dem Kind einen Wochenplan (auf einem grossen Papier, mit Bildern und Farben etc…), wo das Kind jeden Tag sehen kann, wie der Abend ablaufen wird. Das muss nicht immer gleich sein: Mal bringt Papa es zu Bett, mal Mama, mal soll es alleine einschlafen etc… Dieser Plan wird idealerweise gemeinsam gestaltet und gut sichtbar aufgehängt.

Wichtig ist es, mit dem Kind tagsüber immer wieder über die geplante Veränderung zu reden, damit es sich im Wachzustand darauf einstellen kann. Diskutieren die Eltern erst dann mit dem Kind, wenn es schon müde (oder beim nächtlichen Aufwachen gar nicht richtig wach und aufnahmefähig ist), kommen die Botschaften oft nicht an.

Wenn ältere Kinder gar nicht akzeptieren, dass die Eltern sie abends auch mal alleine lassen, gilt es, genauer hinzuschauen.

Wenn ältere Kinder gar nicht akzeptieren, dass die Eltern sie abends auch mal alleine lassen, gilt es, genauer hinzuschauen: Weshalb schafft es das Kind nicht? Welche seiner Bedürfnisse sind nicht erfüllt? Gibt es tagsüber zu viele Trennungen? Was belastet das Kind zurzeit? Wovor hat es Angst? Inwiefern fehlt ihm in der Einschlafsituation die Sicherheit, Klarheit und Entspannung? Hat das Kind das Einschlafen bisher mit Angst, Alleinsein und Stress verknüpft? Eine negative Verknüpfung mit dem Einschlafen kann neu und positiv abgespeichert werden. Der damit verbundene Aufwand lohnt sich, um das Einschlafen langfristig angenehm zu gestalten. Es gibt immer einen Grund für das Verhalten eines Kindes in der (Ein)Schlafsituation und ist auch beim grösseren Kind kein «Machtkampf». Diese Gründe können so vielfältig sein, dass es eben nicht einfach die Methode gibt, sondern auf zwischenmenschlicher Ebene geklärt werden muss: Im ehrlichen Gespräch, im einander Wahrnehmen, Zuhören und im Verständnis.

Habt ihr auch eine Schlaf-Frage? Dann schickt sie uns auf hallo@kleinstadt.ch. Wir können nicht alle beantworten, werden aber nach und nach häufige Fragen aufnehmen und Sibylle Lüpold um eine Antwort bitten.

Sibylle Lüpold

Die Schlafexpertin berät seit fast 20 Jahren Familien zum Thema Schlaf. In dieser Rubrik spricht sie in loser Folge typische Probleme und Irrtümer rund ums Thema Kinderschlaf an und  liefert Lösungsansätze, die sich in der Praxis bewährt haben. Die bisher erschienenen Folgen findet ihr hier oder zum Teil am Ende dieses Artikels.