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Ich belieber dabei

Das erste Stadionkonzert mit dem Kind sollte man sich keinesfalls von moralischen Grundwerten verderben lassen. Oder von Justin Bieber.
22 Jun 2017

Die Nacht, in der sich in Manchester ein Irrer in die Luft sprengte und einen Haufen junger Ariana-Grande-Fans mit in den Tod riss, war die Nacht, in der ich meine schlafende zwölfjährige Tochter zudeckte und dachte: Zum Glück will sie noch nicht an solche Konzerte. Der Tag danach war der, an dem sie mich bat, Justin Bieber live sehen zu dürfen.

Dass ich die Entscheidung, meinen Kindern die Bitte, zu lesen, Bücher zu kaufen, Musik zu hören, Konzerte zu besuchen, und überhaupt, Kultur reinzuziehen, nie ausschlagen würde, schon vor Jahren gefällt hatte, erleichterte vieles. Allem voran: innerhalb einer Hundertstelsekunde Ja zu sagen.

Prinzipien helfen

Ohne diesen Grundsatzbeschluss hätte ich schon allein aus Gründen der Vernunft keine 250 (nicht vorhandene) Franken für die zwei billigsten Plätze im Stade de Suisse bezahlt. Ich hätte mir den Kopf darüber zerbrochen, ob es pädagogisch sinnvoll ist, seine Tochter einem Lausbuben nachträumen zu lassen, der sein Nachbarhaus mit Eiern beworfen, einen Paparazzo ins Gesicht geschlagen und sich den einen oder anderen Alkoholabsturz geleistet hatte. Im schlimmsten Fall hätte ich sogar meine heimliche Terrorangst übertragen und ihr damit den ganzen Spass verdorben.

Wobei, nein, ziemlich sicher hätte ich auch ohne diesen Grundsatzbeschluss innerhalb einer Hundertstelsekunde Ja gesagt.

Mit den Beliebern vor dem Bellevue

Denn im unaufhaltsamen Prozess der Ablösung durfte mal wieder ich, und nicht irgendeine Freundin, die bevorzugte Erlebnisparterin meiner Tochter sein. Wie lange ist mir das nicht mehr vergönnt gewesen? Einem Kleinkind kann man täglich ein Stück Welt zeigen – Bestätigung total. Doch die Zeit, in der man nicht mehr nur Grenzen setzt, sondern auch welche akzeptieren muss, kommt schnell. Sehr schnell.

Also ging ich aufs Ganze. In der Nacht vor dem Konzert sass ich mit einer Handvoll «Belieber» bis um halb zwölf vor dem Hotel Bellevue und wartete auf den Superstar. Ich gebs zu, ich kam mir in diesem Moment ein kleines bisschen hobbylos vor. Am Konzertabend hatte ich gar die Befürchtung, unbemerkt zu einer Mutter mutiert zu sein, die einen auf beste Freundin ihrer Tochter macht. Eine jahrelange Horrorvorstellung von mir.

Die Glucke im Rücken

Rückblickend kann ich aber erleichtert sagen, dass die Fronten selbst in den Stunden der totalen Nähe zu meiner Tochter, der geteilten Leidenschaft, des sich-extrem-jung-Fühlens meinerseits, geklärt waren. Immerhin stand ich die ganze Zeit wie eine Glucke hinter ihr und ihren Freundinnen, ich trank Bier, sie Cola, ausserdem nervte ich bekanntlich tierisch mit meinem Erziehungsspruch: «Kind, man kann nicht alles haben, und Justin-Bieber-Pullis wachsen nun mal nicht auf Bäumen.»

* Miriam Lenz ist Journalistin und Musikbloggerin. Sie lebt mit ihren drei Kindern und einem riesigen Justin-Bieber-Poster in Bern.

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