Macht sich Modedesignerin Sabine Portenier morgens auf den Weg ins Studio, muss sie nicht weit. Einmal die Treppe runter und um die Ecke und schon steht sie mitten in ihrer Arbeitswelt. Schneller schafft den Arbeitsweg höchstens ihr Mann Dominik Stauch. Sein Kunst- und Grafikatelier ist direkt mit der Wohnung der fünfköpfigen Familie verbunden. Im Hause Portenier Stauch geht alles Seite an Seite und Hand in Hand: Familien- und Kreativarbeit, wohnen und gestalten, Kinder- und Elternträume, manchmal gar das eigene Leben und jenes der Nachbarschaft. «Es ist ein bisschen wie auf einem Bauernhof: Die Kinder waren von klein an mittendrin im Geschehen», sagt Sabine Portenier.
«Es ist ein bisschen wie auf einem Bauernhof: Die Kinder waren von klein an mittendrin im Geschehen.»
Anfangs waren Wohnung und Atelier noch getrennt, doch bereits damals waren die Kinder hier wie da mit dabei. Im Atelier diente ein Tipi als Rückzugs- und Ruheort, drum herum teilten sich Spielsachen den Platz mit Inspirationsschnipseln, Skizzen, Notizheften, Büsten und Stoffrollen. Funktioniert allerdings habe dieses Setting nur, weil Kindergarten und Schule zu dieser Zeit noch nicht zum Familienalltags gehörten, so Sabine Portenier.
«Bald war darum klar: Eigentlich brauchen wir kein Atelier, sondern einen Ort, an dem ein Miteinander von Wohnen und Arbeiten umsetz- und lebbar ist.» Gross war die Freude, als sich mit dem Trafohaus auf dem Areal der ehemaligen Selve Metallwerke eine entsprechende Möglichkeit auftat.
Zum Test für den künftigen Familien- und Arbeitsmikrokosmos wurde schliesslich das Atelierstipendium der Stadt Thun, das die damals noch vierköpfige Familie 2008 für ein halbes Jahr nach Berlin führte. «Hier stand uns ein Loft von 150 Quadratmetern zur Verfügung. Ein perfektes Experimentierfeld, das wir mithilfe eines zum Kinderzimmer umfunktionierten Familienzeltes familientauglich machten.» Rasch merkten Sabine Portenier und Dominik Stauch, dass es ihnen keine Mühe bereitet, an Ort und Stelle zwischen Familie und Arbeit hin und her zu wechseln, sie das Abenteuer also wagen konnten.
Zurück in der Schweiz, bezogen sie ihr heutiges Reich und leben und arbeiten seither unter einem Dach, inzwischen zu fünft und immer noch mit viel Vergnügen.
«Selbstverständlich gibt es Momente, in denen sich eines der Kinder einen Alltag in einem 08/15-Einfamilienhaus mit Garten wünscht», wirft Sabine Portenier ein. «Bis jetzt waren das aber glücklicherweise immer nur Phasen, in denen auch das restliche Hab und Gut mit jenem der Kolleginnen und Kollegen verglichen wurde.»
«Wir gelten klar als Exoten.»
Nicht zu leugnen sei indes, dass man in Thun mit einem solchen Modell aus dem Rahmen falle. «Der Vater mehr ‹zuhause› als die Mutter, beide selbständig erwerbend und in der Kreativbranche tätig, alles unter einem Dach – wir gelten klar als Exoten und werden bei Gspändlibesuch mitunter entsprechend begutachtet.» Eine Mischung aus Neugierde und Skepsis jedoch, über die alle Familienmitglieder schmunzeln können.
«Bezeichnend ist, dass der beste Freund unseres Sohnes ebenfalls anders aufwächst als der Grossteil seiner Schulkollegen. In seinem Fall ist es ein von drei Generationen geteiltes Haus mitten in den Geleisen, das da und dort für grosse Augen sorgt.»
Ein von viel räumlicher Nähe und verschiedensten Einflüssen geprägter Alltag, den die eigenen Kinder bestens kennen, und der trotz gelegentlichem Chaos niemand missen möchte. «Die Vorteile überwiegen für uns alle. So müssen zum Beispiel die beiden Älteren (14 und 11 Jahre) inzwischen nicht mehr in die Tagesschule, weil sie zwar alleine in der Wohnung, aber trotzdem nicht alleine zuhause sind. Entweder Dominik oder ich sind immer nur eine Tür respektive ein Stockwerk entfernt. Die Jüngste (7 Jahre) wiederum ist bei unseren Nachbarn ebenso zuhause wie bei uns und kommt in Studio und Atelier immer wieder in unterschiedlichsten Bastelgenuss.» Umgekehrt sei sie selbst ebenso rasch zur Stelle, wenn es im Studio unerwartet drunter und drüber gehe. «Es ist in alle Richtungen ein Gewinn.»
«Bis heute können alle drei Kinder in jeder Umgebung schlafen. Zudem können sie sehr gut für sich selbst sein, ohne dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt.»
Wunderbar findet Sabine Portenier überdies, wie selbständig und unkompliziert ihre Kinder sind. «Lärmempfindlichkeit etwa war nie ein Thema. Bis heute können alle drei in jeder Umgebung schlafen. Zudem können sie sehr gut für sich selbst sein, ohne dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt.» In Zeiten steter Ablenkung ein rares Gut. Und dann ist da noch die ausgeprägte Nähe zum Vater, die das Leben und Arbeiten unter einem Dach mit sich bringt. Eine schöne Welt, der Mikrokosmos Portenier Stauch. Auch in beruflicher Hinsicht.