Dieser Artikel erschien zuerst in der «Work»-Zeitung. Vielen Dank an die Autorin und die Redaktion für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck!
Lohnungleichheit ist ein emotional diskutiertes Thema. Zu Recht, betrifft es doch viele Frauen direkt in ihrem Alltag. Endlich ist dies auch in der Ökonomie angekommen: Mit dem Verleihen des Nobelpreises an Claudia Goldin wurde das Thema in den wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream gerückt.
Was schreibt Goldin über Lohnungleichheit, und wie sieht dies in der Schweiz aus? 2020 verdienten Frauen im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer (betrachtet wird der auf Vollzeit standardisierte Bruttolohn). Das vermeldet das Bundesamt für Statistik. Dieser Unterschied ist im Schnitt grösser, je höher die berufliche Stellung. Zwischen den Branchen ist der Lohnunterschied verschieden gross, er existiert jedoch überall. Auffallend ist, dass der Lohnunterschied erst in der Altersgruppe ab dreissig substantiell grösser wird, aber dazu später mehr.
Bei der Messung von Lohnungleichheit in Unternehmen wird der Lohn üblicherweise in zwei Komponenten unterteilt. Der sogenannte «erklärte Anteil» ist der Teil an der Lohnungleichheit, der durch Unterschiede in Ausbildung, Erfahrung, Anforderungen des Stellenprofils, Branche usw. erklärt werden kann. So findet man etwa an mehreren Schweizer Universitäten keine einzige von einer Frau besetzte ordentliche Professur in der Volkswirtschaftslehre. Dieser erklärte Anteil wird in der Schweiz auf etwas mehr als die Hälfte des gesamten Lohnunterschieds geschätzt. Er hat sich in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern stark reduziert, weil die Frauen zum Beispiel bei Bildungsabschlüssen «aufgeholt» haben. Der restliche Lohnunterschied wird «nicht erklärter» Anteil genannt. Ein nicht unerheblicher Anteil der durchschnittlichen Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen kann nicht durch objektiv beobachtbare Fakten erklärt werden. Was ist nun dieser «nicht erklärte» Teil der Lohnungleichheit?
Er wird häufig als Diskriminierung interpretiert, kann aber theoretisch auch Faktoren beinhalten wie weniger kompetitives Verhalten von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Für letzteres gibt es jedoch kaum empirische Belege – eine Studie von 2016, die dies zu zeigen schien, wurde inzwischen von anderen Forscherteams nicht bestätigt. Eine weitere Erklärung diskutiert Nobelpreisträgerin Claudia Goldin in ihrer Arbeit: Sie beobachtete, dass Löhne in vielen Branchen nicht proportional zu der Anzahl Wochenarbeitsstunden steigen, sondern hohe Wochenarbeitszeiten überproportional belohnt werden. Dies betrifft meist sehr gut bezahlte Jobs, in denen eine ständige Verfügbarkeit gefordert wird. In diesen Berufen sei die Lohnungleichheit besonders stark, sagt Goldin. Dieses Problem geht tiefer als die Betrachtung von Lohnunterschieden. Es berührt auch eine hierbei zunächst ausgeklammerte Frage: Warum kommen Frauen und Männer in die jeweiligen beruflichen Positionen? Was bedingt die unterschiedlichen Karrierewege? Diskriminierung oder unterschiedliche Werte und Präferenzen spielen hier eine Rolle. Aber möglicherweise nicht die wichtigste.
Die Forderung nach ständiger zeitlicher Verfügbarkeit wird spätestens bei der Geburt des ersten Kindes zum Problem.
Die Forderung nach ständiger zeitlicher Verfügbarkeit wird spätestens bei der Geburt des ersten Kindes zum Problem. Besonders für die Frauen. In der Tat ist zu diesem Zeitpunkt ein Auseinanderklaffen der Löhne von Müttern und Vätern zu beobachten. Goldins Beobachtung erklärt zwar die ungleiche Aufteilung von Kinderbetreuung und Arbeit zwischen Eltern, aber nicht, warum es meistens die Frau ist, die zurücksteckt. Hier braucht es weitere Erklärungsansätze. Konservative gesellschaftliche Normen spielen hier sicherlich eine Rolle. In der Tat zeigt eine Umfrage, die ich 2022 zusammen mit Ecoplan im Auftrag des Seco durchführte, dass konservative Einstellungen gegenüber Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Schweiz weit verbreitet sind.
Was tun? Heutzutage streben immer mehr Frauen und Männer eine gleichberechtigte Aufteilung von Haus- und Erwerbsarbeit an. Und das wird, sagt Goldins Forschung, auf dem Arbeitsmarkt «bestraft»: Wenn Paare Hausarbeit und Kinderbetreuung gleichberechtigt aufteilen, kann niemand im Job voll verfügbar sein. In der Schweiz kommen sehr teure Kinderbetreuung und eine «Gleichberechtigungsstrafe» in der Einkommenssteuer und Sozialversicherung für Ehepartner hinzu. Die Schweizer Institutionen belohnen also eine ungleiche Rollenverteilung und zementieren damit jene oben erwähnten konservativen Normen. Letztlich ist es eine gesellschaftliche Frage: Sollen Paare sich entscheiden müssen, ob sie lieber gleichberechtigt leben oder ein höheres Haushaltseinkommen haben wollen?
Die Struktur des heutigen Arbeitsmarktes und die institutionellen Anreize spielen eine wichtige Rolle für unsere Entscheidungen. Menschen entscheiden sich nicht in einem Vakuum, sondern innerhalb von Institutionen. Und sie reagieren auf finanzielle Anreize. Claudia Goldins Schlussfolgerung: Wir brauchen fundamentale Änderungen in der Art, wie wir arbeiten und wie wir Care-Arbeit wertschätzen. Sonst erreichen wir nie Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Wir sind in einer veralteten Arbeitswelt gefangen – die Strukturen am Arbeitsmarkt haben sich nicht verändert, seit Frauen an ihm teilnehmen. Eine Anpassung dieser Strukturen an die gesellschaftliche Realität ist überfällig.
Dr. Jana Freundt forscht am Departement für Volkswirtschaftslehre der Universität Freiburg im Bereich der Verhaltensökonomik und der politischen Ökonomie.