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Warum soll eine Geburt «sanft» sein?

HypnoBirthing verspricht viel. Coach Solveig Rüegg erklärt, wie die Methode funktioniert und warum es dabei nicht um Schmerzfreiheit geht.
7 Nov 2023
Bilder — Olivia Etter*

Solveig Rüegg, ich habe eine offene Rechnung mit der Hypnobirthing-Methode. Obschon ich das Hypnobirthing-Buch gelesen hatte, war die Geburt sehr schmerzhaft. Was habe ich falsch gemacht?
Das Buch von Marie Mongan bietet viel Hintergrundwissen, tolle Entspannungsübungen und berührende Geburtsgeschichten. Es soll nicht den Druck schüren, schmerzfrei und ohne medizinische Intervention gebären zu «müssen». Druck bedeutet Anspannung und Stress. Das kann für den Geburtsprozess kontraproduktiv sein. Wichtiger ist, den Frauen und ihren Geburtspartnern Tools an die Hand zu geben, mit denen sie in einen entspannten Zustand kommen können. Dass sie mithilfe vieler positiver Bilder zuversichtlich in den Geburtsprozess gehen.

Weshalb ist das wichtig?
Paare sollen Bescheid wissen, was bei einem Geburtsprozess im Körper passiert, wie die Gebärmuttermuskeln arbeiten während der Geburt. So können sie lernen, mithilfe der erlernten Techniken das Angst-Spannungs-Schmerz-Syndrom zu unterbrechen. Genauso nützlich ist die Vorbereitung auf einen Fall eines Kaiserschnitts oder andere Interventionen wie z.B. PDA oder die Glocke.

Macht man den Frauen nicht etwas vor, wenn man ihnen eine «sanfte» Geburt verspricht? Bei Geburten werden Urgewalten mobilisiert, warum soll eine Geburt  «sanft» sein?
«Sanfte Geburt» bedeutet nicht, schmerzfrei gebären zu «müssen». Ist eine Frau während des Geburtsprozesses entspannt und zuversichtlich und wird sie vielleicht von ihrem Partner liebevoll unterstützt mit sanften Massagen oder sie hört entspannende Musik, dann kann der ganze Prozess trotz teilweise starkem Druck oder Schmerzen als sanft und dennoch unglaublich kraftvoll erlebt werden.

Was kann HypnoBirthing denn bewirken – und was nicht?
Sicherheit und Zuversicht. Durch das Verstehen, was mit der Gebärmutter während der Geburt passiert. Dank dem Wissen, wie Angst und Stress den Geburtsprozess erschweren können. Dank dem Erlernen von Tools zur Entspannung. Wie zum Beispiel Atemtechniken. Was HypnoBirthing nicht kann: Es kann der Frau nicht versprechen, dass sie schmerzfrei und ganz schnell gebären wird. Und wenn aus medizinischen Gründen ein Kaiserschnitt sein muss (z.B. bei Plazenta Previa oder schwierige Position des Babys), dann sind die HypnoBrthing Methoden zwar sehr hilfreich für einen möglichst entspannten operativen Eingriff, aber ich würde da sicher nicht die Methoden mit dem Ziel anwenden, um alles in der Welt eine spontane Geburt «durchzustieren». Sicherheit für Mutter und Baby geht immer vor.

Was sind das denn genau für «Tools» beim HypnoBirthing?
Es gibt drei wichtige Atemtechniken, die die Frauen und ihre Partner lernen. Diese Atemtechniken helfen innert kurzer Zeit in einen entspannten Zustand zu kommen. Sie unterstützen die Frau dabei, mit den intensiven Geburtswellen klarzukommen und mit ihnen zu arbeiten und das Baby schliesslich durch Becken zu schieben. Nebst den Atemtechniken unterstützen kraftvolle innere Bilder und Sätze.

Warum sprechen Sie von «Wellen», nicht von «Wehen»?
Die Begrifflichkeit ist wichtig. «Wehe» finde ich nicht passend, da man bei diesem Begriff von vorneherein ausgeht, dass es «weh machen» muss. Es ist bekannt, dass die Menschen Schmerz ganz unterschiedlich wahrnehmen.

Wie funktioniert Hypnobirthing überhaupt ganz konkret, im Hirn, im Körper?
Die Gebärende und ihr Partner können sich dank Übungen und unterstützenden Atemtechniken besser entspannen. Die Muskeln, inklusive Ringmuskeln der Gebärmutter, lockern sich. Der Körper schüttet vermehrt sogenannte Glückhormone wie z.B. Endorphine aus. Letztere wirken wie ein körpereigenes Schmerzmittel.

Allein durch Atemübungen?
Auch wunderschöne innere Bilder und positive Sätze können Vertrauen und Glücksgefühle auslösen. Bei sanften Massagen und Berührungen durch den Geburtspartner wird das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet. Die Frau fühlt sich wohl und geborgen, was sich positiv auf den Geburtsprozess auswirkt. Sobald das Baby geboren ist, unterstützt das Hormon Oxytocin das Lösen der Plazenta.

Gibt es wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit?
Ja, viele. Die positiven Einflüsse mentaler Unterstützung sind gut erforscht. Ebenso die Zusammenhänge zwischen gezielter Atmung im Bereich Schmerzmanagement. Auch die klassische Medizin bedient sich dieser Erkenntnisse.

Was ist, wenn ich einen geplanten Kaiserschnitt haben werde?
Wenn eine Frau weiss, dass sie einen Kaiserschnitt haben wird, dann kann sie sich mit Entspannungsübungen und einer inneren positiven Haltung sehr gut darauf vorbereiten. Auch die Zeit im Wochenbett kann beeinflusst werden mithilfe einer positiven Grundhaltung und Entspannungstechniken.

Welche niederschwelligen Möglichkeiten gibt es für mich, mich mit dem Thema HypnoBirthing zu beschäftigen?
Es gibt viele Entspannungsaudios, auch spezifisch für die Geburt. Besser ist es, sich ganzheitlicher mit dem Thema zu befassen. Zum Beispiel mit einem Besuch eines HypnoBirthing-Geburtsvorbereitungskurses. Dieser beinhaltet unter anderem praktische Übungen, die zu Hause wiederholt werden. Ich mache die Erfahrung, dass Ängste durch ausführliche Antworten und das Anleiten von Entspannungsübungen gelöst werden können.

Warum sind die Wiederholungen wichtig?
Das tägliche Üben bringt Erfolg, schon ab fünf Minuten täglich. Ein einmaliges Anhören von Audios und Ausprobieren von einigen Atemtechniken allein bringt nichts. Erst durch das wiederholte Üben kann der Körper auf Entspannung «konditioniert» werden und können innere Bilder und Affirmationen gefestigt werden. Es ist wie beim Skifahren lernen: üben, üben, üben!

Haben Sie selber HypnoBirthing angewendet, und wenn ja, mit welchem Resultat?
Ja, das habe ich. Mein Mann und ich haben drei Kinder im Alter von 4, 7 und 10 Jahren. Die zweite Geburt wollte ich selbstbestimmter und entspannter angehen. Wir besuchten einen HypnoBirthing-Kurs, um mich auf meine zweite Geburt vorzubereiten. Ich erlangte eine innere Ruhe, meinen Körper schnell zu entspannen. Die positiven Bilder und die stärkenden Sätze, die ich mir schon vor der Geburt verinnerlicht hatte, unterstützten mich wirksam, gerade während der intensiven Eröffnungsphase. Die Geburten zwei und drei wurden sehr entspannt und schön, obwohl sie lange dauerten.

Die Geburt ist zwar sehr wichtig, aber die wahre Nervenprobe kommt ja dann erst, wenn die Kinder da sind, schreien, uns nicht schlafen lassen … Wärs nicht sinnvoller, statt HypnoBirthing grad HypnoParenting anzubieten?
Die Methoden helfen für fast jede Lebenslage, sei dies bei schlaflosen Nächten, vor einem schwierigen Gespräch mit einem Mitarbeiter oder bei  einem  Auftritt vor  grossen Publikum. Vor zwei Monaten hatte ich beispielsweise eine Operation am Bauch, auch dabei halfen mir die Entspannungsübungen. Ich behielt die innere Ruhe. Als ich von der Narkose aufwachte, hatte ich immer noch meine schönen inneren Bilder vor mir.

* Die Bilder zu diesem Beitrag stammen aus Geburtsreportagen von Olivia Etter. Sie hat sich auf dokumentarische Familienfotografie spezialisiert und ist in der Region Bern daheim. www.oliviaetter.ch
Solveig Rüegg

Die Kursleiterin für Geburtsvorbereitung ist auch zertifizierte Mentaltrainerin und Coach. Sie bietet in Bern regelmässig Meditationskurse an. Solveig Rüegg ist zudem angehende Fachfrau für medizinische Entspannungsverfahren. Sie lebt mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Töchtern in Bern.