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Wie wir mit unseren Kindern über die Klimakrise sprechen

Naturschutz-Expertin und Journalistin Veronika Rivera* erklärt, wie wir mit unseren Kindern schwierige Themen ansprechen können.
17 Okt 2023
Bild — Unsplash

Frau Rivera, meine 9-jährigen Kinder glauben, dass es jetzt jeden Sommer noch heisser werden wird. Was soll ich ihnen antworten?
Veronika Rivera: Für diese Frage gibt es sowohl eine gute als auch eine weniger erfreuliche Nachricht. Beginnen wir mit der weniger erfreulichen: Ihre Kinder könnten recht haben. Zwar gibt es noch nicht jedes Jahr neue Hitzerekorde, aber eine im Jahr 2019 veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» warnt davor, dass ab dem Jahr 2100 über die Hälfte der Weltbevölkerung jedes Jahr mit neuen Höchsttemperaturen konfrontiert sein könnte.

Und was ist die gute Nachricht?
Die eigentlich gute Nachricht ist: Es liegt in unserer Hand. Das wird nämlich nur passieren, wenn wir unseren bisherigen Weg fortsetzen. Wir gewinnen momentan viel Energie aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas und Kohle. Diese Ressourcen setzen Treibhausgase frei, die die Atmosphäre umhüllen und die Erde wärmer machen. Aber wir haben die Möglichkeit, unsere Energiegewinnung zu ändern. Mittlerweile können wir Energie aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Wasser gewinnen. Wenn wir verstärkt auf diese umweltfreundlichen Energiequellen umsteigen, können wir die Erwärmung begrenzen und die Anzahl der Hitzesommer verringern.

In welchem Alter sollten wir mit unseren Kindern über die Klimakrise zu sprechen beginnen?
Schon wenn sie im Kleinkindalter sind, sollten wir den Kindern vorleben, wie wir uns umwelt- und klimafreundlich verhalten. In meinen Augen ist Klimakommunikation eine Haltung, die wir einnehmen. Unser Handlungen können wir auch schon für kleine Kinder mit Worten begleiten: «Wir laufen zu Fuss in die Kita, weil das Auto die Luft verschmutzt.»

«In meinen Augen ist Klimakommunikation eine Haltung, die wir einnehmen.»

Wir begleiten also am Anfang unsere Taten mit Worten – und lassen dabei je nach Alter und Entwicklungsstand Informationen einfliessen. Eltern können das Thema auch durch altersgerechte Bücher aufgreifen und so Kindern die Möglichkeit geben, sich für das Thema zu interessieren. Meistens ist es so, dass Kinder nur die Fragen stellen, für deren (kindgerechte) Antworten sie auch bereit sind. Oftmals reicht es dann, genau diese Fragen zu beantworten.

Und was sollten wir eher unterlassen?
Wir Eltern dürfen lernen, dass wir nicht zu einem kompletten Rundumschlag ausholen, der alle Ursachen und Folgen der Klimakrise erklärt – sondern eben nur den Aspekt, für den sich das Kind gerade interessiert. Dabei sollten wir darauf achten, lösungsorientiert zu kommunizieren, und uns nicht auf beängstigende Auswirkungen und Prognosen konzentrieren.
Generell gilt: Mehr über Zukunftsvisionen sprechen und gemeinsam überlegen – wie sieht unsere Vision einer gerechten, sozialen und ökologischen Zukunft überhaupt aus? Wo wollen wir denn hin? Das ist ein Aspekt, den auch viele Erwachsene vergessen.

«Es macht Kindern viel mehr Angst, wenn sie keine Begleitung mit schwierigen Themen wie der Klimakrise erfahren, als wenn man offen mit ihnen darüber spricht.»

Wie antworten Sie Menschen, die sagen «Damit machst Du den Kindern doch nur Angst», wenn es ums Thema Klimakrise geht?
Erstens denke ich, dass es Kindern viel mehr Angst macht, wenn sie keine Begleitung mit schwierigen Themen wie der Klimakrise erfahren und dann über Fernsehberichte, auf dem Schulhof, durch Gesprächsfetzen oder in den sozialen Medien auf das Thema stossen und die Informationen nicht einordnen können. Und zweitens bedeutet Klimakommunikation nicht, den Kindern Angst zu machen. Klimakommunikation sorgt idealerweise dafür, in unseren Handlungen Vorbild für die Kinder zu sein und gleichzeitig das Gefühlskuddelmuddel, das durch Informationen über die Klimakrise entstehen kann, für sie zu entwirren.Waldbrand Griechenland

Worauf sollten wir besonders achten, wenn wir mit unseren Kindern über die Klimakrise sprechen?
Wir dürfen unsere eigenen Emotionen nicht vergessen! Die Theorie der sozial-kognitiven Lerntherapie des kanadischen Psychologen Albert Bandura zeigt, wie Kinder durch Beobachtung und Nachahmung lernen. Wenn Erwachsene panisch reagieren, werden sehr wahrscheinlich auch die Kinder Angst empfinden. Eltern und Bezugspersonen müssen sich daher ihrer Vorbildrolle bewusst sein und dürfen sich nicht von der Emotionalität mitreissen lassen, weil sie diese sonst unbewusst und ungewollt an ihr Kind weitergeben könnten.

«Es macht Kindern Mut, wenn sich ihre Eltern aktiv für Umwelt und Klimaschutz einsetzen. Sie fühlen sich dann weniger in direkter Verantwortung und besser geschützt.»

Und wie sollen wir das tun, wenn wir selber Ängste haben?
Die Psychologin Lea Dohm von den Psychologists for Future sagt: Es macht Kindern Mut, wenn sich ihre Eltern aktiv für Umwelt und Klimaschutz einsetzen. Sie fühlen sich dann weniger in direkter Verantwortung und besser geschützt. Aktive Eltern können ihren Kindern vorleben, dass wir die Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten haben und dass sich Probleme offensiv angehen lassen.

Ich finde, das ist eine grossartige Nachricht für alle Eltern! Wir Erwachsenen sollten uns sowieso unserer Verantwortung stellen und uns mehr für Klima- und Umweltschutz einsetzen – das wir dadurch auch noch aktiv unsere Kinder vor Ängsten schützen, muss doch ein doppelter Ansporn sein.

Wann haben Sie gemerkt, dass Ihre Kinder das Thema beschäftigt?
Ich würde sagen, bei uns kommt und geht das in Wellen. Mal ist mehr Interesse da, beispielsweise wenn in der Schule das Thema behandelt wird oder wir Erwachsenen über häufige Hitze im Sommer klagen – dann kommen Fragen auf. Und mal ist die Klimakrise wochenlang kein Thema. Ich denke, das muss sie bei den Kindern auch nicht sein – wichtig ist aber, dass Kinder grundsätzlich Bescheid wissen und dass ihnen nicht vermittelt wird «Alles wird gut» oder «Du bist noch zu klein für das Thema», wenn sie Fragen dazu haben.

«Kleine Schritte reichen nicht. Wir brauchen einen grossen Wandel, eine systemische Transformation, um die Emissionen drastisch zu senken.»

Kinder sind oft sehr radikal: Nie mehr fliegen, kein Fleisch mehr und das Auto kann auch weg. Wie findet man die Balance im Familienalltag? Reicht es, ihnen zu erklären Ihnen, dass auch kleine Schritte ok sind?
Ich finde nicht, dass das reicht, weil das gelogen wäre. Wir brauchen einen grossen Wandel, eine systemische Transformation, um die Emissionen drastisch zu senken. Wir müssen bedenken: Selbst während der maximalen, globalen Einschränkungen während des Corona-Lockdowns konnten die weltweiten Emissionen nur um 17 Prozent reduziert werden. Die restlichen 83 Prozent liegen nicht in unserer Hand – selbst wenn wir quasi aufhören, am Leben teilzunehmen! Es ist dennoch gut und richtig, nicht zu fliegen, kein Fleisch mehr zu essen und kein Auto mehr zu fahren – zumindest Letzteres ist aber im Alltag für viele Menschen schwierig.

Wie gehen Sie selber damit um?
Wir hatten die Situation auch selbst schon in der Familie. Wir leben in Spanien, mein Opa aus Deutschland war kurz vor Weihnachten verstorben, ich wollte zur Beerdigung und wir planten, im Anschluss die Weihnachtsferien bei meiner Familie zu verbringen. Aber meine sechsjährige Tochter sagte: «Ich setze mich in keinen Flieger, das ist schlecht fürs Klima.» Ein Teil von mir war stolz, dass sie da so klar war, der andere stand vor dem Dilemma, das Kind von einem Flug zu überzeugen – wo sie eigentlich ganz eindeutig Recht hatte. Letztlich erklärte ich, dass es Situationen gibt, die klimaschädliche Handlung eher rechtfertigen, als beispielsweise ein Kurzurlaub übers Wochenende. Und ich versprach ihr, als Emissionsausgleich einen Baum zu pflanzen. Aber begeistert sass sie trotzdem nicht im Flieger.

Wie können wir mit unserer eigenen fehlenden Konsequenz in Sachen Klimaschutz umgehen gegenüber unseren Kindern?
Das ist eine gute Frage, bei fehlender Konsequenz fühle auch ich mich «ertappt». Aber: Wir können in einer fossilen Welt nicht fossil-free leben (ausser wir werden Einsiedler*innen). Man könnte das den Kindern vielleicht mit Süssigkeiten erklären. Die meisten Kinder wissen, sie sollten Obst und Gemüse essen, weil das gesund ist. Wenn aber auf dem Tisch nur Süsses steht und sie müssten sich für Obst und Gemüse sogar anstrengen, um das zu bekommen – was würden sie wohl wählen?  Mit diesem Beispiel können sie vielleicht besser verstehen, dass es unter gewissen Umständen nicht einfach ist, das Richtige zu tun. Selbst wenn man weiss, was das Richtige ist.

Was mache ich, wenn am Familienfest mit der erweiterten Familie plötzlich dunkle Voraussagen über die Klimaentwicklung und unsere Zukunft gemacht werden?
Freundlich, aber bestimmt darauf hinweisen, dass Kinder in Hörweite sind und ob man das Thema vielleicht später besprechen kann. Alternativ mit den Kindern rausgehen. Ich suche nach solchen Momenten, egal ob es um die Klimakrise, um Krieg oder Katastrophen geht, immer das Gespräch mit meinen Kindern. Frage nach, was sie gehört haben, ob sie Fragen haben oder ob sie etwas beschäftigt – ich rede also nicht auf sie ein und erkläre wild darauf los, sondern versuche erst einmal aktiv «vorzuhorchen», was sie mitbekommen haben und wie sie das selbst einordnen. So lässt es sich verhindern, dass ich ihnen Informationen gebe, an die sie selbst noch gar nicht gedacht haben und die ihnen dann eventuell mehr Angst machen, als sie eigentlich hatten. Wer mehr darüber wissen möchte: Diese Technik nennt sich «Aktives Zuhören» nach Thomas Gordon.

Und wie kann man antworten, wenn das Argument kommt: «Solange China täglich neue Kohlekraftwerke baut, bringt es doch nichts, hier weniger Fleisch zu essen»?
Eine Übersicht, was man auf solche sogenannte «Delayer-Argumente», also Argumente, die Klimaschutz verzögern, antworten könnte, habe ich einmal in einem Instagram-Post zusammengefasst.
In diesem Fall könnte man darauf hinweisen, dass die Emissionen zwar in China entstehen, aber der globale Norden seine Konsumgüter zu einem grossen Teil in China produzieren lässt. Es sind also zum Teil unsere eigenen Emissionen, die dort verbucht werden.

Was sagen sie Eltern, die sagen, dass sie das Sprechen und Nachdenken über die Klimakrise so beängstigt, dass sie lieber schweigen?
Das verstehe ich. Man muss sich diesem Thema aber nicht allein stellen, es gibt mittlerweile sehr viele Online- und Offline-Angebote mit Gesprächskreisen, Lokalgruppen (auch Eltern- und Grosselterngruppen) oder auch die Sprechstunde der Psychologists for Future. Es hilft enorm, sich auszutauschen und sich in einem geschützten Rahmen die eigenen Klimaemotionen anzusehen. Das ist, denke ich, wertvoller, als sich im sogenannten «Doomscrolling» die neuesten Schreckensnachrichten und Hiobsbotschaften durchzulesen und die Hoffnung zu verlieren.

Lac des Brenets Wie bleiben Sie selber zuversichtlich für die Zukunft Ihrer Kinder?
Ich frage mich: Was ist denn eine «gute» Zukunft, ein gutes Leben? Was ist es denn, was uns glücklich macht, was brauchen wir dafür? Gerade mit aktuellem Blick auf die Nachrichten und den vielen Kriegen und Krisenherden denke ich nicht gerne an die Zukunft. Ich weiss nicht, was sie bringen wird. Aber das Hier und Jetzt – das kann ich beeinflussen und dafür sorgen, dass meine Kinder eine gute Kindheit haben.

Und was kann ich sonst noch tun, ausser meine Kinder zu informieren und sensibilisieren?
Schützende Faktoren vor psychischen Belastungen für junge Menschen sind laut Studien: das Kultivieren einer hoffnungsvollen Grundhaltung, Erholung, Humor und Erfahrung des kollektiven Engagements.
Wir können ausserdem die Resilienz unserer Kinder stärken – durch sinnstiftendes Tun, soziale Kontakte und Kompetenzen wie Nein sagen lernen – und sollten Parentifizierung, also eine Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind, vermeiden. In meinem E-Book hat es zudem eine ausführliche Liste mit Buch- und Medientipps.

Die Bilder in diesem Beitrag stammen aus der Schweiz, Österreich und Griechenland.

Wer sich über konkrete Massnahmen informieren will, die gegen das Fortschreiten der Klimakrise helfen könnten, wird hier fündig.

* Veronika Rivera

Veronika Rivera hat Naturschutz und Journalismus studiert. Die zweifache Mutter beschäftigt sich beruflich mit der Klimakrise, betreut auf Instagram eine Klimaeltern-Community und arbeitet als freie Autorin. Dass sie auf die Fragen zum Klima und auf die Ängste ihrer Kinder trotzdem keine Antworten hatte, wollte sie ändern. Ihre Recherche hat sie in einem Leitfaden für „Klimakommunikation mit Kindern“ veröffentlicht. Mit dem E-Book möchte sie klimabewegten Bezugspersonen einen Weg aufzeigen, eine klimafreundliche Haltung einzunehmen, um ihre Kinder durch eine sensible Kommunikation zu stärken.