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Unser Leben in … Moçambique

Administrative Hürden, Partysonntage und Ungleichheit – Nora Julien erzählt von der Vielfalt ihres Lebens in Moçambique.
23 Mai 2019
Bilder — Nora Julien

Nora Julien und ihr Partner Sven leben mit ihren zwei Söhnen (2.5 Jahre und 9 Monate) seit vier Jahren in Maputo, der mosambikanischen Hauptstadt. Was ihren Alltag leichter macht und was ihn erschwert, warum man in Moçambique keinen Sonntagsblues kennt und wie Kinder dort aufwachsen, erzählte uns Nora im Telefoninterview. Alle bisherigen Beiträge aus der Rubrik «Unser Leben in…» findet ihr hier.

Welche drei Worte beschreiben Moçambique für Dich am besten?
Familie, gutes Essen und Unvorhersehbarkeit.

Was hat Euch nach Moçambique gebracht?
Wir haben beide einen international ausgerichteten Hintergrund von unserer Ausbildung und Berufserfahrung her und wollten beide schon immer mal in Moçambique leben und arbeiten. Schliesslich bin ich hier geboren und die Familie meines Vaters wohnt hier. Der Zufall – oder das Schicksal – wollte es, dass in Svens Bereich gerade eine Stelle in Maputo frei wurde und er diese auch erhalten hat.

Was fiel euch beim Wegzug am schwersten?
Unsere Kinder sind ja erst später geboren, die Umstellung betraf sie also nicht. Mir selber fiel der Abschied von meiner Familie und den Freunden sehr schwer und auch, meine Arbeitsstelle bei Velafrica zu verlassen, ich habe sehr gerne dort gearbeitet. Da ich vor der Abreise noch keine Stelle in Moçambique hatte, war es für mich schon ein Sprung ins kalte Wasser. Andererseits habe ich ja auch Familie hier und sprach bereits Portugiesisch, die hiesige Landessprache, das hat mir die Umstellung sicher vereinfacht.

Was fehlt Euch dort?
Das zu Fuss unterwegs zu sein, Velofahren, Spazieren in der Natur und ein verlässliches ÖV-Netz fehlt mir. Autofreie Zonen gibt es in der Umgebung kaum. Und die Aare – der Strand hier in Maputo ist voller Müll, das lädt nicht zum Baden ein (im Gegensatz zu vielen anderen, wunderschönen Stränden, die Moçambique zu bieten hat). Ausserdem ist die Schweizer Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit bezüglich bürokratischen Prozessen im Vergleich zu den hiesigen Abläufen einfach wunderbar…

«Die Schweizer Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit bezüglich bürokratischen Prozessen ist im Vergleich zu den hiesigen Abläufen einfach wunderbar.»

Wie und wo lebt ihr jetzt?
Wir leben in einem ruhigen und sicheren Quartier in der Hauptstadt in einem schönen Haus mit Schwimmbad und Garten. Ich arbeite 80%  als Koordinatorin Monitoring, Evaluation und Lernen im Bereich der Jugendförderung bei einer Mosambikanischen NGO, die sich noch im Aufbau befindet. Diese Stelle habe ich vier Monate nach der Geburt unseres zweiten Sohnes über ein berufliches Netzwerk gefunden, sie ist sehr spannend, aber auch eine grosse Herausforderung. Eigentlich wollte ich nicht so rasch nach der Geburt wieder arbeiten gehen, der Job war aber genau in dem Bereich, in dem ich etwas suchte – nun bin ich froh, habe ich mich dafür entschieden.

Und wie habt ihr die Kinderbetreuung organisiert?
In Moçambique ist es normal, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten, Teilzeitstellen gibt es so gut wie keine und der offizielle Mutterschaftsurlaub beträgt gerade mal 2 Monate. Die Kinderbetreuung wird hier grösstenteils mit Nannys oder Familienmitgliedern sichergestellt, bei vielen Familien beginnt die Nanny schon während der Schwangerschaft mit der Arbeit. Wir haben das Glück, seit Beginn mit der gleichen Nanny zusammenarbeiten zu können, sie ist ein wichtiger Teil unserer Familie geworden. Der ältere Sohn geht ausserdem drei halbe Tage pro Woche in eine Kita, auch damit er noch etwas anderes kennenlernt als eine eins zu eins Betreuung.

«In Moçambique ist es normal, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten, Teilzeitstellen gibt es so gut wie keine, der Mutterschaftsurlaub beträgt 2 Monate.»

Wie verläuft euer Alltag?
Wir nehmen uns morgens viel Zeit zum aufstehen, uns bereit machen und frühstücken. Unsere Angestellten (die Nanny und eine Haushaltshilfe) kommen morgens um acht Uhr, dann bringt einer von uns den älteren Sohn in die Kita. Ich arbeite täglich von halb neun bis halb fünf und ab und zu nehme ich einen Tag frei, so komme ich auf mein 80%-Pensum. Sven fährt die 15 Minuten ins Büro mit dem Velo, ansonsten bewegen wir uns im Auto, da der ÖV sehr unzuverlässig ist. Abends treffe ich die Nanny und meine Buben oft in einem Park, der zu Fuss von zuhause erreichbar ist, spiele mit den Kindern oder mache administrative Arbeiten, dann kochen wir und essen gemeinsam zu viert. An drei Abenden bleibt die Nanny noch da bis die Kinder im Bett sind, das gibt uns als Paar die Möglichkeit, in Ruhe zu essen und auch mal ein Gespräch ohne Unterbruch zu führen. Ein grosses Privileg ist, dass wir abends nicht noch den Haushalt erledigen müssen, da bin ich sehr froh drum.

«Der Alltag ist hier insgesamt viel aufwändiger und langwieriger, das frisst viel Zeit, die sonst für die Familie verfügbar wäre.»

Dann habt ihr also viel freie Zeit als Familie?
Nicht unbedingt, denn die meisten Alltagsaufgaben dauern hier viel länger als in der Schweiz, Einkaufen beispielsweise: Wenn ich in einen Laden gehe, sind meistens nicht alle Produkte im gleichen Laden verfügbar. Oft müssen wir in mindestens drei verschiedene Läden fahren, um Qualitätsfleisch, Frischprodukte und Alkohol zu kaufen. Ein anderes Beispiel ist die Bürokratie: Erstmal ist es ziemlich kompliziert, ein bestimmtes Büro oder Amt überhaupt ausfindig zu machen. Einfach mal schnell googeln und mit Hilfe von Maps suchen, funktioniert hier leider nicht. Dann ist es eine Herausforderung, die richtigen Infos von der richtigen Person zu erhalten: Sehr oft muss man mehrmals zu einem Amt gehen, bis man die richtigen Dokumente in der richtigen Form an der richtigen Stelle abgeben kann. Kürzlich wollte ich ich den jüngsten Sohn registrieren, damit wir die moçambikanische Nationalität beantragen können. Ich habe drei Wochen und etliche Hin- und Rückfahrten durch die ganze Stadt gebraucht, bis ich nur den notwendigen Betrag auf das Konto des Amtes einzahlen und die richtigen Dokumente einreichen konnte. Der Alltag ist hier insgesamt viel aufwändiger und langwieriger, das frisst viel Zeit, die sonst für die Familie verfügbar wäre.

Wie sieht es denn mit Eurem Sozialleben aus? Und was unternehmt ihr in der Freizeit?
Sven spielt regelmässig Fussball und geht Kite surfen. Ich tanze einmal wöchentlich Marrabenta (ein traditioneller mosambikanischer Tanz), treffe mich ab und zu zu einem Buchclub, gehe ins Yoga oder verbringe einen Frauenabend mit Müttern, die ich in einer Spielgruppe kennengelernt habe. Am Wochenende laden wir befreundete Familien ein zum Grillieren und Baden oder fahren weg, zum Campieren, ans Meer oder nach Swaziland. Sonntags ist Familientag – da trifft sich meine ganze Verwandtschaft jeweils bei meiner Tante zuhause zum Mittagessen, das zieht sich dann jeweils bis in den Abend hin.

Wie erlebt ihr die Kultur in Moçambique?
Das Land ist riesig und es gibt dementsprechend grosse kulturelle Unterschiede zwischen den ca. 40 verschiedenen lokalen Sprachen und Ethnien. Überall in Moçambique ist aber die Familie ein wichtiges Element: Das Wochenende ist der Familie gewidmet, meistens in der Kombination mit einem genussreichen Essen. Für Auswärtige ist es darum gar nicht so einfach, Kontakt zu knüpfen, da die Mosambikaner ihre Freizeit einfach im Kreis der Familie verbringen. Dadurch, dass meine Tanten, Onkel und Cousinen hier leben, waren wir aber von Anfang an gut integriert.

«Der Sonntag ist hier ein echter Partytag! Man geht an den Strand, haut auf den Putz, trinkt mit Freunden oder en famille.»

Was auch ganz anders ist als in der Schweiz, ist dass hier sowohl die gesellschaftliche wie auch die berufliche Hierarchie eine sehr hohe Bedeutung hat. Man stellt Forderungen und Aufträge «von oben» nicht in Frage, was nicht zuletzt auch Einfluss auf Eigeninitiative hat. Ich tu mich als eher kritische Person immer noch schwer, mich daran anzupassen und ecke deshalb auch immer wieder an.

Eine weitere Besonderheit ist der Sonntag – das ist ein echter Partytag! Man geht an den Strand, haut auf den Putz, trinkt mit Freunden oder en famille. Der Montagmorgen ist dementsprechend für viele nicht so einfach, aber den Sonntagsblues kennt man hier definitiv nicht.

Wo seht ihr Probleme?
Die Ungleichheit und der ungleiche Zugang zur Grundversorgung (Arbeitsbeschaffung, Bildung, Mobilität, Gesundheitsversorgung etc.) beschäftigen mich sehr. Diejenigen, welche bereits gut situiert sind, erhalten relativ einfach Hilfe und Zugang, für die anderen (das ist die Mehrheit!) ist alles hundertmal schwieriger.

Beispielsweise?
Viele Junge Leute müssen, nur um sich auf einen Praktikumsplatz bei einem gefragten Arbeitgeber zu bewerben, einen ziemlich hohen Betrag bezahlen. Und um eine gute Grundschulbildung zu erhalten, kommt man nicht darum herum, auf eine Privatschule zu gehen, das kann sich natürlich nur eine Minderheit leisten. Es gibt wenig Hoffnung, dass sich das demnächst ändert, Korruption ist ein Riesenthema und die internationale Ungleichheit zeigt sich hier sehr gut. Das macht mich betroffen, auch wenn – beziehungsweise weil – wir selber ein gutes Leben führen und daher auch Teil dieses ungleichen Systems sind.

«Korruption ist ein Riesenthema und die internationale Ungleichheit zeigt sich hier sehr gut. Das macht mich betroffen.»

Was läuft in Moçambique anders im Umgang mit Kindern als in der Schweiz?
Es kommt sehr auf die gesellschaftliche Schicht an, in unserem Umfeld sind Kinder eher überbehütet. Auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit muss nicht besonders Wert gelegt werden. In den weniger begüterten Schichten lässt sich genau das Gegenteil beobachten, dort müssen Kinder sehr früh selbständig sein. Insgesamt sind Kinder hier normaler Teil der Gesellschaft, sie sind allgegenwärtig und werden weder speziell behandelt noch stören sie.

Wie hat der Umzug euch denn als Paar verändert?
In der Schweiz haben wir relativ unabhängig voneinander gelebt und waren, trotz gemeinsamem Freundeskreis, als Menschen sehr eigenständig. Seit wir hier sind, sind wir intensiver aufeinander fokussiert, das hat sich mit den Kindern natürlich noch verstärkt.

Und was sind Eure Pläne für die Zukunft?
Sven hat seine Stelle um ein Jahr verlängert, Ende 2019 kommen wir in die Schweiz zurück. Er nimmt sich dann ein Sabbatical und ich werde für das Einkommen zuständig sein. Wie es längerfristig weitergeht, halten wir uns offen.