Sind die Kinder erst einmal da, schrumpft die Zeit und Energie für alles andere zusehends. Und der Sport ist dabei häufig etwas vom Ersten, was wegfällt. Weil nach der Geburt und dem Wochenbett der Wiedereinstieg nicht gelingt. Weil das Kind abends, wenn das Fussballtraining stattfände, immer seine Schreistunden hat, und ich dann nicht mehr aus dem Haus kann. Weil der bisherige Sport plötzlich nicht mehr zu mir passt. Weil schlicht die Kraft fehlt. Kurz: Gründe, als Eltern keinen Sport mehr zu treiben, gibt es viele.
Aber es gibt noch viel mehr Gründe, die für den Sport sprechen: Kopf durchlüften, Körpergefühl verbessern, Bewegungsapparat im Schuss halten, Verletzungen und Krankheiten vorbeugen, Fit sein für das eigene Kind, sich gut fühlen, Endorphine ausschütten …
Warum ist es dann nur so verdammt schwer, wieder einzusteigen? Wir haben vier Sportprofis* um ihre Tipps gebeten, wie es ihrer Erfahrung nach klappt mit dem Wiedereinstieg: Karolina Hiller von Casa Pilates, Ravi Sinnathamby von Unik Training, Elisa Malinverni von Way of the Mother (WOMB) und Jacqueline Rohner von Bootcamp JR (Porträts am Ende des Artikels).
Falls du in der Vergangenheit bereits Sport gemacht hast, erinnerst du dich eventuell noch an Sportarten, die dir Spass gemacht haben. Unihockey? Ballett? Badminton? Tanz? Rollschuhfahren? Was hast du geliebt? Überleg dir das zuallererst – dann kannst du dort anknüpfen. Denk nicht automatisch an die klassischen Sportarten: Nur weil deine Freundin gerne joggen geht, heisst es nicht automatisch, dass du es auch mögen musst. Du hast wenig Sporterfahrung? Dann kannst du ausprobieren, fast überall werden Schnupperstunden angeboten. Beachte hier, dass es manchmal auch 2 bis 3 Stunden braucht, um richtig reinzukommen, deshalb auch nicht immer gleich nach dem ersten Mal aufgeben.
Investiere zum Start in eine persönliche Beratung mit einem Personal Trainer oder eine Einzelstunde. Der Coach nimmt eine Standortbestimmung vor und kann dir dabei helfen, eine Tätigkeit oder ein Programm zu finden, das wirklich in dein Leben und zu deinem Körper passt. Das ist eine Anfangsinvestition (kann zwischen 150 und 200 Franken kosten), die sich aber lohnt (mehr als ein Jahresabo, siehe unten). Wichtig ist es auch, unabhängig von der Sportart unbedingt eine Lehrperson oder einen Coach finden, mit der/dem die Chemie stimmt. Wenn man sich nicht wohl fühlt, sucht man rasch Ausflüchte, um nicht regelmässig hinzugehen.
Du bist ein Morgenmensch, aber deine Trainings finden immer am Abend statt? Das mag vielleicht ein paar Mal klappen, aber idealerweise trainierst du in der Zeit mit der meisten Energie. Für den Morgen spricht, dass das Risiko, dass etwas dazwischen kommt, viel kleiner ist (nach dem «Eat That Frog»-Prinzip: Mach das Schlimmste zuerst). Wer Yoga-Erfahrung hat, kann beispielsweise 10 bis 15 Minuten simple Yogaübungen einplanen, bevor die Kinder wach sind. Am besten jeden Morgen, dafür nur kurz. So startet der Tag selbstbestimmt und in Stille (nicht fremdbestimmt und im Chaos). Das ist für gestresste Eltern Gold wert.
Das Training ist 45 Minuten Zugfahrt entfernt, ich muss noch durch die halbe Stadt, ein Hüeti organisieren, etc.? Das klappt vielleicht 2-3 Mal, und dann ist der Aufwand viel zu gross. Wähle ein Angebot in der Nähe, so sparst du Zeit und kannst auch mal spontan in eine Stunde gehen. Achte ausserdem darauf, ob du dich dort wohl fühlst: Such dir eine Umgebung, die dir Freude bereitet (die meisten Fitnessstudios sind ein ästhetisches Verbrechen). Oder such dir gleich von vornherein eine Tätigkeit, die du draussen ausführen kannst (ein Bootcamp z.B.). Zudem sind Onlinestunden ideal, wenn du lieber zuhause trainieren möchtest, so sparst du auch den Weg. Dabei sind Livestreams verbindlicher, da wie ein fixer Termin. Auf Youtube gibts gigabitweise Gratisvideos (da ist man zeitlich zwar flexibel, aber das Risiko, es nicht zu machen oder immer nach hinten zu verschieben, ist grösser).
Such dir eine Umgebung, die dir Freude bereitet. Die meisten Fitnessstudios sind ein ästhetisches Verbrechen.
Du bist voll motiviert, möchtest nächsten Montag starten und nimmst dir gleich vor, dich fünfmal die Woche je zwei Stunden zu bewegen? Die Chancen, das gleich von Anfang an zu schaffen, sind eher gering (ausser du bist ein Übermensch). Starte mit kleinen Zielen, beispielsweise täglich 15 Minuten Bewegung an der frischen Luft. Das ist auch mit mehreren Kindern machbar, gibt dir einen Energiekick und den Stolz, dass du es durchgezogen hast. Was dich wiederum bestärkt, dran zu bleiben.
Die Fitness-Industrie versucht alles, um uns möglichst lang zu verpflichten, und lockt mit scheinbaren Rabatten und lustigen Aktionen (gratis: ein hässliches Handtuch!). So überzeugend das klingen mag: Warte erst einmal noch ab. Die gesparten paar Franken werden sich nämlich rächen, wenn du nach zwei Monaten merkst, dass das Fitnessstudio dich nur beelendet. Dann musst du es aber irgendwie durchziehen (oder gehst einfach nicht mehr hin) – und übrig bleibt wieder Frustration statt Freude. Deshalb besser am Anfang wirklich einige Monate lang prüfen, was du tun willst und kannst, bevor du auf irgend eine Rabattaktion einsteigst (die kommen eh wieder, lass dich nicht stressen).
Soziale Unterstützung in jeder Form ist ein Zaubermittel, das beweisen viele Experimente. Auch wenn du alleine trainierst: Finde einen «Accountability Partner» – eine Freudin/ein Freund, der auch irgend ein persönliches Ziel hat, und schliesst eine Vereinbarung miteinander ab, wie ihr eure Ziele verfolgen wollt. Diese gute Idee stammt von Gretchen Rubin. Das Absagen fällt dann viel schwerer, weil du dich vor jemand anderem rechtfertigen musst. Falls das alles nix ist für dich: Mach einen Deal mit dir selber. Zuerst 15 bis 20 Minuten Bewegung, dann darfst du netflixen. Oder aber: Diese eine Serie schaust du nur auf dem Laufband, diesen Podcast hörst du nur beim Joggen. Oder: Zuerst ins Fitness, dann in die Sauna am selben Ort. Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, kann sehr helfen – das Glas Wein oder die Tasse Tee mit der Freundin nach der Yogastunde gehört dazu.
In seinem empfehlenswerten Buch «Atomic Habits» erklärt James Clear, wie wir etwas zur Gewohnheit werden lassen können. Der Trick ist dabei nicht die Intensität, sondern die Regelmässigkeit. D.h. es braucht keine Stunde Jogging zu sein, im Grunde genügen 10 Minuten, dafür sehr regelmässig, und zwar über einige Monate hinweg (danach wirds anscheinend einfacher, weil ein Automatismus). Neue Routinen einzuhalten fällt uns leichter, wenn wir alle Hürden aus dem Weg räumen und beispielsweise schon am Vorabend die Yogamatte ausrollen und die Sporttasche schon gepackt haben. Und auch wenn der Schweinehund nun noch so starken Widerstand leistet – überwinde dich zu zwei Minuten Training. Fünf. Zehn. Alles ist gut, Hauptsache, du hältst die Gewohnheit ein.
Roll die Matte schon am Vorabend aus. Halte deine Sporttasche mitnahmebereit.
Wenn Joggen oder Fitness grad noch nicht drin liegen: Yoga und Pilates bieten sich für einen sanften Wiedereinstieg geradezu an. Es beruhigt das Nervensystem. Ganz von selbst stellt sich ein Gefühl von tiefer Regeneration und Abstand vom Alltag ein. Gerade jungen Eltern hilft das, aus der ständigen Alarmbereitschaft herauszukommen und sich zu erholen, wenn die Nachtruhe keine Selbstverständlichkeit ist. Allein dieser Effekt motiviert immer wieder, auf die Matte zu kommen.
Auch die anderen sind nicht immer topfit, auch sie sind müde, gestresst, haben Schmerzen oder keine Lust. Du musst dich mit niemandem messen. Machs für dich. Aber machs einfach. Geh hin im Vertrauen, dass es dir nachher viel besser geht. Und denk dran – am Ende des Tages bereuen wir nicht, was wir gemacht haben, sondern das, was wir nicht gemacht haben.
Diese vier Sportprofis haben uns für diesen Artikel beraten:
Karolina Hiller hat vor kurzem ihr eigenes Pilatesstudio am Wohlensee eröffnet. Sie ist Mutter zweier Kinder, unterrichtet Pilates auf verschiedensten Stufen und bietet Personal Trainings an (hier ihr Stundenplan), und das alles auch fliessend auf Englisch.
Casa Pilates auf Instagram.
Ravi Sinnathamby ist Vater eines Sohnes und Gründer des vermutlich coolsten Fitnessstudios in Bern, dem Unik Training (Eltern werden schon x-fach vorbeigefahren sein: Es ist gleich beim Bimano), wo er als Coach unter anderem das beliebte «Bootycamp» (für ein knallhartes Fudi!) unterrichtet und als Personal Trainer Sport- und Ernährungspläne zusammenstellt.
Unik Training auf Instagram.
Elisa Malinverni unterrichtet seit elf Jahren Yoga. Seit sie vor acht Jahren selber Mutter wurde, begleitet sie mit Yin Yoga und Schwangerschafts-/Rückbildungsyoga werdende Mamas und junge Eltern in dieser herausfordernden Lebensphase. In Bern gibt sie nebst Lektionen rundum Geburt einen «Yoga für alle»-Kurs (ja, auch für Männer), der sich besonders für den Wiedereinstieg und AnfängerInnen eignet. Jeweils Mittwoch, 19:15 bis 20:30 im Yogagarden, Kramgasse 66. (Hier hat sie uns schon mal Tipps gegeben, wie Eltern kleine Achtsamkeitsübungen in den Alltag einbauen können.)
Womb auf Instagram.
Jacqueline Rohner ist ausgebildete Wellnesstrainerin, Spinning- und Walkinginstruktorin und Mutter zweier Töchter. Sie bietet auch Personal Training an inklusive Ernährungsplänen. Immer Mittwochabends leitet sie ein Outdoor-Training nur für Frauen an, Treffpunkt ist jeweils um 17.45 Uhr am Mittwochabend oder 12.15 Uhr am Donnerstagmittag an der Talstation Marzilibähnli.
Bootcamp JR auf Instagram.
(Artikel aktualisiert im Januar 2023)
Treibt ihr Sport? Wie hat bei euch der Wiedereinstieg geklappt?