Stadtkinder bewegen sich viel zu selten. Sie wachsen in unnatürlicher Umgebung auf. Häuser, Strassen, Fussgängerstreifen, Autos, Trams, Balkone. Wenn es hoch kommt, eine Dachterrasse. Der Wohnungsaussenraum als Laufgitter. Nur die Grösse variiert. Und je besser das Einkommen, desto verzierter und grosszügiger die Zäune. Stadtkinder werden auch nie dreckig. Darum bekommen sie Asthma und Zöliakie und Laktoseintoleranz und Veganismus und Heuschnupfen. Wobei, wie eigentlich, wenn sie ja nur vor dem Fernseher sitzen? Item. Stadtkinder sind nicht zu beneiden, sind zu bemitleiden.
Das höre ich, seit ich auf dem Land wohne. Und meinen Kindern endlich alles biete: Sie können barfuss auf Schnecken stehen, mutterseelenallein im Billigsandkasten aus der Landi spielen und dabei sein, wenn mein Mann und ich versuchen, Wühlmäuse zu fangen. Höhepunkt: Die kleine Tochter zeigt unserem Besuch aus der Stadt, wo wir die «Totmaus» zwischenlagern. Sie hat eben ein völlig natürliches Verhältnis zu allen Zuständen des Seins entwickelt.
Zurück zu den Stadtkindern. Ihnen bleibt all das verwehrt. Um meinen Kindern zu zeigen, wie glücklich sie sich schätzen können, machen wir doch regelmässige Ausflüge. Wir besuchen Stadtkinder und bringen Salat und Bohnen vom Land mit. Wir ziehen die neuen Sandalen und das Sonntagskleid an.
Doch dann zerrt uns die Stadtfamilie auf den Spielplatz am Schützenweg. Die Kinder springen wild umher! Sie klettern auf ausgedienten Autos herum! Einige widmen sich sogar intensiv der reichlich bewässerten Sandkastenlandschaft! Und die städtischen Eltern schauen gelassen zu.
Meine Kinder stehen adrett daneben. Beobachten die Szenerie etwas verdutzt. Schliesslich waren sie auf etwas anderes eingestellt. Dann stürzen sie sich ins Getümmel. Ich kann ihnen nicht einmal mehr die Ledersandalen ausziehen.
* Marina Bolzli ist Kulturjournalistin bei der «Berner Zeitung». Aufgewachsen im Emmental, kehrte sie nach 12 Jahren in der Stadt aufs Land zurück mit dem ehrgeizigen Ziel, ihr Gemüse selbst anzubauen. Sie hat uns hier schon sieben Gründe geliefert, weshalb aufs Land ziehen vielleicht doch keine so gute Idee ist.